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Die Staubfee

Die Staubfee

Titel: Die Staubfee
Autoren: Nicole Rensmann
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zu, aber es wurde schnell langweilig. »Da, fang!«, rief ich ein letztes Mal. Doch Lisa starrte in eine Ecke. Ich folgte ihrem Blick.
    Die Staubfee. Sie schwebte über unseren Köpfen und schaute uns zu. Wie lange wohl schon? Hatte sie schon mit uns zusammen aus dem Fenster gesehen? Plötzlich flog der Staubfussel uns entgegen. Nein, nicht zu uns, sondern er steuerte auf den Ball zu, der unter den Schreibtisch gerollt war. Die Staubarmee veränderte sich. Der lange Schweif formte sich zu einer - Staubhand. Auf dem Zeigefinger hockte die Staubfee. Ihr Flügel arbeitete unentwegt. Die Hand umfasste nun den Ball und schubste ihn zu Lisa. Die stand nur da, starrte abwechselnd auf den Ball, der nun vor ihren Füßen lag, dann wieder auf die staubige Hand.
    »Mensch, mach! Sie will mitspielen.«
    Lisa hockte sich auf den Boden und rollte den Ball zur Staubfee. Diese hielt ihn an und schubste ihn zu mir. Und so ging es weiter: Der Ball rollte von mir zur Staubfee, von da zu Lisa, von Lisa zu mir und zurück. Lisa gab glucksende, freudige Jauchzer von sich. Doch dann zuckte sie plötzlich zusammen. Ein Kichern hatte sie erschreckt. Wir schauten in die Richtung, aus der das Lachen kam. Mama und Papa lehnten am Türrahmen. Sie mussten schon eine Weile dort gestanden und uns zugeschaut haben.
    »Die Staubfee spielt mit uns.« Ich grinste.
    Mama und Papa setzten sich zu uns. Zärtlich strich Mama über Lisas Haare: »Ich wollte dich nicht erschrecken, entschuldige bitte.«
    »Schon gut«, winkte sie ab und rollte den Ball wieder zur Staubfee.
    Gespannt schauten unsere Eltern auf die staubige Hand, die aussah wie eine graue Wolke mit Fingern.
    Die Hand zögerte einen Moment, doch dann legte sie sich langsam um den kleinen Ball und schubste ihn an. Er bewegte sich auf Mama zu. Leicht zitternd hielt sie ihre Hand in Position und rollte den Ball zu Lisa. Diese schubste ihn zu Papa. Papa verharrte einen Moment. Aber dann gab er den Ball an die Staubfee ab.
    Ungewaschen und in unseren zerknitterten Schlafanzügen saßen wir auf dem Teppich, spielten und rollten den Ball hin und her. Selbst Mama und Papa waren noch nicht duschen gegangen. Ihre Faszination über das unbekannte Wesen, das an unserer Seite spielte, wuchs von Minute zu Minute. Ich spürte die Neugier meiner Eltern, mehr über die Staubfee zu erfahren. Aber sie schienen auch so ausgeglichen wie schon lange nicht mehr.
    Wir lachten und jubelten vor Freude, wenn einer sich zur Seite schmiss, um an einen missglückten Wurf zu gelangen.
    Als die Fee erneut an der Reihe war, hielt die schwebende Hand über dem Ball inne. Schnell nahmen die Staubpartikelchen wieder ihre normale Ordnung an. Die Staubfee voran, die Armee als Schwanz hinten dran.
    »Oh!«, sagte Lisa enttäuscht. »Sie hat keine Lust mehr.«
    Die Staubfee flog auf Lisa zu. Die Armee setzte sich wieder als Hand zusammen. Für wenige Atemzüge bewegte sie sich ruhig vor Lisas Gesicht. Dann streichelte die Staubhand sachte über Lisas Haare, so wie es Mama gemacht hatte.
    »Sie soll mir auch übers Haar streicheln«, rief ich neidisch. So, als habe die Staubfee meinen Wunsch gehört, schwebte die Hand auf mich zu und fuhr mir über den Kopf. Es knisterte leise, aber die Berührung selbst fühlte sich wie ein warmer Lufthauch an.
    Die Staubfee schwirrte auf Mama zu und wiederholte die Geste. Mama blinzelte einige Tränen weg, doch eine einzige kullerte an der Wange entlang. Die Staubfee folgte der Träne mit ihren Augen. Als der Tropfen drohte, von Mamas Kinn auf den Boden zu fallen, wischte die Fee die Träne mit ihrem Hinterteil fort. Nachdem die aus Staub gebildete Hand auch Papa ihre Freundschaft mitgeteilt hatte, löste sich das Gebilde wieder auf, um sich neu zusammenzusetzen. Die Fee trudelte in der Luft, während sich die Armee auf den Boden legte und Buchstaben bildete.
     

8.
    Lisa las laut vor:
    SCHÖN GEWESEN DU HAST FRAGEN MAMA FRAG MICH
    Mama schaute überrascht. Sie räusperte sich, schluckte und schaute uns bittend an: »Mir fällt jetzt nichts ein.«
    »Hattest du denn Fragen?«, meinte Papa.
    »Natürlich, aber woher weiß sie das?«
    »Sie kann sicher Gedanken lesen.« Jetzt musste ich nur noch lernen, ihre zu lesen, dann könnte ich sie mit in die Schule schmuggeln und ihr Wissen bei Klassenarbeiten verwenden. Ich stand auf, holte Zettel und Kugelschreiber und schrieb:
    KÖNNT IHR UNS HÖREN?
    Die Staubkörnchen legten sich auf die Buchstaben und bildeten dann eigene:
    NEIN WIR KÖNNEN NUR
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