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Die Stadt in den Sternen (German Edition)

Die Stadt in den Sternen (German Edition)

Titel: Die Stadt in den Sternen (German Edition)
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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zu verfolgen, ihn aber nicht festzunehmen.
    Dr. Ragano war seit fast einer Generation für die Sicherheit von LEVITAD verantwortlich. Von den sechzigtausend Einwohnern der Stadt kannte er mehr als alle anderen Ressortchefs. Sein Beruf und die jahrzehntelange Übung hatten dazu geführt, daß seine Aufmerksamkeit sich stets auf zwei Schwerpunkte konzentrierte: auf die Lepra-Kranken unterhalb von Palmyra und auf das Levitanium ...
    Wie jeder gute Sicherheitschef in der Geschichte der Menschheit wußte er, daß es nur zwei Gruppen von Menschen gab, die niemals in ein Klischee passen würden.
    Und doch beging Dr. Ragano einen folgenschweren Fehler. Er konzentrierte sich auf die Flucht von Jan van Sonar, er glaubte, daß die jungen Intellektuellen, die Träumer und die radikalen Idealisten das größere Sicherheitsrisiko für die Existenz der schwebenden Stadt darstellten, aber er dachte nicht an die verzweifelten, ausgestoßenen Kranken. Er vergaß, daß stumpfe Hoffnungslosigkeit durch einen einzigen Funken zur Explosion gebracht werden konnte.
    Dr. Ragano übersah die warnenden Anzeichen, weil er sie einfach nicht wahrhaben wollte. Keiner seiner Beamten hatte Zutritt zur isolierten Lepra-Sektion im Zentrum der Stadt. Nur zwei Dutzend Kameraaugen überwachten den abgeschlossenen Stadtteil, in dem sich die Kranken aufhielten. Fast achtzig Prozent der Strahlengeschädigten suchten ständig die Nähe der anderen. Sie hatten Zwischenwände entfernt und nur tragende Decken stehengelassen. Auf diese Weise war eine von Verstrebungen durchzogene Halle entstanden, deren Durchmesser annähernd vierhundert Meter betrug. Kleine, kreisförmige Plattformen hingen in allen Höhen wie Schwalbennester an den glänzenden Verstrebungen. Es war eine Stadt in der Stadt – ein Refugium für alle, deren Zukunft in den Sternen bereits beendet war.
    Während die automatischen Überwachungseinrichtungen Jan van Sonar und die beiden Sicherheitsbeamten verfolgten, kontrollierte Dr. Ragano wie beiläufig die Situation in der Krankensektion unterhalb von Palmyra. Nacheinander schaltete er alle Kameras ein. Er überzeugte sich, daß die Männer und Frauen der Levi-Lepra-Station so unauffällig wie stets ihren unterschiedlichen Interessen nachgingen. Sie beschäftigten sich, ohne zu wissen, daß ein großer Teil dieser Beschäftigung von Computern und von den besten Ärzten der schwebenden Stadt ausgearbeitet worden war.
    Zweimal mußte Dr. Ragano mit einem kleinen Knopf die Schärfe nachstellen. Die Bilder wirkten verschwommen. Er achtete nicht darauf. Sein klarer, kühler Verstand billigte außergewöhnlich intelligente Handlungen nur Leuten wie der Gruppe der Tafelrunde zu. Er schaltete die Überwachungsgeräte aus und beobachtete, wie Jan van Sonar einen weitläufigen Gebäudekomplex betrat. Mit einem feinen Lächeln lehnte er sich zurück. Er legte die Fingerspitzen gegeneinander und schloß für eine Sekunde die Augen. Auch diese Krise würde nicht sehr lange dauern. Ohne Übergang dachte er an die übrigen Ressortchefs. Lavrans war zwar der offizielle Sprecher von Vierzehnmann, aber das war für Dr. Ragano völlig ohne Bedeutung. Daß diese Stadt funktionierte, war schließlich sein Verdienst, Niemals vergaß Dr. Ragano das Schicksal von Städten, die sich in einer ähnlichen Isolierung befunden hatten.
    LEVITAD hatte keinen Angriff von außen zu befürchten. Darin unterschied sie sich von Troja, Tyros, Singapur und Sewastopol. Aber Dr. Ragano kannte auch seinen Platon. Eine Stadt ohne Handel und ohne die Möglichkeit, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen, mußte einfach von Depressionen, Degenerationen und Niedergang bedroht sein. Selbst die Arche Noah war nur ein Übergang gewesen.
    Dr. Ragano machte sich über die Zukunft keine Illusionen. Er hatte mitgeholfen, LEVITAD aufzubauen. Später – wenn die schwebende Stadt einmal zur Erde zurückkehren sollte – würde er nicht mehr da sein. Die Bewohner von LEVITAD würden ausschwärmen und mit Hilfe der Levitan-Spulen versuchen, die leere, jungfräuliche Erde zu erobern. Und doch wußte Dr. Ragano, daß die Keime für neue Kriege bereits jetzt in der schwebenden Stadt heranwuchsen. Selbst eine siebzigjährige Quarantäne auf engstem Raum hatte die Menschen nicht verändern können. Es war, als würde der Fluch der Uneinigkeit für immer in ihren Chromosomen eingeprägt sein.
    Dr. Ragano konnte die Menschheit nicht retten. Weder die Freiheit noch die absolute Diktatur, kein Schwarzer Krieg
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