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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel
Autoren: Rainer Wekwerth
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ihn zu denken. Lara wollte die Zeit in Berlin genießen. Sie war im Haus ihrer Großeltern, die sie so lange nicht gesehen hatte und nun endlich näher kennenlernen würde.
    Und dann war da noch Berlin.
    Eine ganze Stadt, die nur darauf wartete, entdeckt zu werden.
     
    Das Zimmer war klein, ohne beengt zu wirken. Ein einfacher Kleiderschrank, ein bequemes Bett, ein Nachttisch aus Kiefernholz mit passender Lampe, ein flauschiger Teppich, der frühmorgens die kalten Füße wärmte, mehr gab es darin nicht. Trotzdem fühlte sich Lara sofort wohl in dem Raum.
    Über dem Bett hing ein farbenfrohes Ölgemälde, das eine Landschaft im Frühling zeigte. Goldene Sonnenstrahlen fielen auf blühende Wiesen. Bäume wiegten sich im Wind. Eigentlich ein kitschiges Bild. Aber so voller Leben. Lara betrachtete es eingehend und erinnerte sich daran, wie sie als Kind davor gestanden und davon geträumt hatte, diesen Ort zu finden. Das Bild stammte von einem unbekannten polnischen Maler und der Himmel mochte wissen, wo es gemalt worden war.
    Lächelnd schaute ihre Großmutter sie an. »Ich erinnere mich, als du das letzte Mal hier warst und uns besucht hast, musste ich dir Farbe und Papier besorgen, weil du es abmalen wolltest.«
    Nun musste auch Lara lächeln. »Manche dieser Versuche habe ich heute noch.«
    »Es waren schöne Bilder. Und du hast immer voller Hingabe gemalt.«
    »Schon eine Weile her«, murmelte Lara.
    »Malst du noch?«
    »Nein.«
    Martha fragte nicht nach. »Wenn du willst, kannst du das Gemälde mit nach Hause nehmen. Hier oben verstaubt es nur und es ist ein Bild, das angesehen werden will.«
    »Du würdest es mir schenken?«, fragte Lara erstaunt.
    »Ja«, sagte ihre Großmutter ernst. »Eigentlich war es schon immer dein Bild. Seit du das erste Mal davor gestanden bist und es mit staunenden Augen betrachtet hast. Es hing bisher nur am falschen Ort.«
    Lara umarmte ihre Großmutter. »Danke, Oma.«
    »Ich lasse dich jetzt allein, damit du auspacken und dich hinlegen kannst.«
    »Gute Nacht, Oma.«
    »Gute Nacht, Lara.«
    Als ihre Großmutter das Zimmer verlassen hatte, warf sich Lara aufs Bett. Sie war ziemlich müde von der Reise, aber als sie kurz die Augen schloss, sah sie sofort Bens Gesicht vor sich. Wütend riss sie die Augen wieder auf, sprang auf die Beine und begann, ihren Koffer auszupacken.
    Sie war in Berlin. Sie wollte nicht mehr an zu Hause denken. An Rottenbach. An Ben. Das alles war nun weit weg und sie würde ein paar coole Tage hier verbringen! Und die würde sie sich bestimmt nicht von diesem Idioten vermiesen lassen!
    Ganz anders als in Rottenbach gab es hier tausend Dinge, die man tun konnte. Lara trat ans Fenster und schob die Gardine beiseite. Der Himmel, der nun wieder wolkenverhangen war, reflektierte die Lichter der Stadt. Lara kam es vor, als hätte jemand eine riesige orangefarbene Glocke über Berlin gestülpt. Die Vorfreude auf die Großstadt mit all ihren Möglichkeiten hinterließ ein kribbelndes Gefühl in ihrem Magen. Vielleicht würde sie ja tatsächlich ein paar Leute in ihrem Alter kennenlernen; nette Leute, die ihr zeigen konnten, was Berlin fernab der Touri-Ziele wirklich zu bieten hatte.
    Ja, sie würde sich ins Großstadtleben stürzen und alle Jungs dieser Welt konnten ihr gestohlen bleiben!
    Lara drehte sich vom Fenster weg, legte den letzten Pulli in den Schrank, dann verstaute sie den Koffer und ließ sich zufrieden aufs Bett fallen. Schließlich zog sie ihr Handy aus der Hosentasche. Sie wollte ihrer Mutter noch eine SMS schicken, dass sie gut angekommen war.
    Und sie hatte nun das Gefühl, angekommen zu sein.
    Berlin!

4.
Zwei Tage später
    Lara schlang den Schal enger um den Hals und stellte den Kragen ihrer Jacke hoch. Der Herbstwind fegte erbarmungslos durch die Straßen und trug einen Geruch nach feuchtem Laub mit sich. Obwohl es noch einigermaßen hell war, beleuchteten bereits die Lampen der Straßenlaternen ihren Weg zum nahe gelegenen Park.
    Lara mochte diese Oase fernab der großen Straßen; sie hatte die Grünfläche gleich am ersten Morgen entdeckt, als sie zum Bäcker gelaufen war. Und nach einem langen Tag in der quirligen, lauten Stadt hatte sie gestern Abend die Ruhe genossen, die einen umfing, sobald man den Park betrat. Auch heute war Lara mit den öffentlichen Verkehrsmitteln aus der Innenstadt zurückgekommen und nun sehnte sie sich nach ein bisschen Stille und Einsamkeit.
    Die letzten beiden Tage war sie durch Berlin gelaufen, hatte sich treiben
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