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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel
Autoren: Rainer Wekwerth
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Teller, Tassen und Gläser untergebracht waren. Eine rustikale Küchenvitrine stand neben dem großen Fenster, das auf den Hof hinausging. Alles wirkte etwas abgenutzt, strömte aber den Geruch von Pflege und Sauberkeit aus. Der Duft eines ganzen Lebens lag in diesem Raum.
    So ganz wollte das Gefühl, das Lara in diesen Räumen empfand, nicht mit dem Bild zusammenpassen, das sie sich von Berlin gemacht hatte. Doch dann ermahnte sie sich selbst. Sie war gerade erst angekommen und sollte nicht vorschnell urteilen, sondern den Dingen eine Chance geben.
    Martha nahm ihrer Enkelin die Jacke ab und drängte sie auf einen Stuhl. In der Küche war es sehr warm. Lara wickelte ihren Schal ab und hängte ihn über die Lehne. Ihr Großvater hatte ihr gegenüber Platz genommen. Seine Augen funkelten sie freudig an.
    »Na, was gibt es Neues in Rottenbach?«, fragte ihre Großmutter, während sie den Apfelstrudel aus dem Backofen zog.
    »Nicht viel«, antwortete Lara.
    »Wie läuft es in der Schule?«
    »Geht so.«
    Martha zog eine Augenbraue hoch und Lara fügte schnell hinzu: »Eigentlich läuft es ganz gut. Das Abitur sollte kein Problem sein.«
    »Und wie geht es deiner Mutter?«
    »Gut.«
    Obwohl es die wahrscheinlich normalste Frage der Welt war, schwang ein seltsamer Unterton mit. Ihre Mutter und ihre Großeltern sprachen schon seit Jahren kaum miteinander. Bis auf wenige Telefonate im Jahr herrschte Stille an der Familienfront. Lara selbst rief wenigstens ab und zu in Berlin an. Wenn sie schon nicht in ihrer Nähe lebten, wollte sie wenigstens den Kontakt zu ihren Großeltern aufrechterhalten.
    Ihre Großmutter liebte es, mit ihrer Enkelin am Telefon zu schwatzen, und ihr Großvater überraschte sie immer wieder mit Geschichten, die sich angeblich in der Umgebung abgespielt hatten. Lara hatte den Verdacht, dass er sich manches ausdachte, um sie zu unterhalten, denn auf der Fahrt hierher hatte es nicht gerade nach einer aufregenden Wohngegend ausgesehen.
    Sie wollte gerade ihren Großvater danach fragen, ob er sie all die Jahre angeschwindelt hatte, als Martha einen dampfenden Teller vor ihr abstellte und ihr Besteck in die Hand drückte.
    Es duftete herrlich und hungrig machte sich Lara über das Essen her. Es schmeckte fantastisch. Zwischen zwei Bissen fragte sie: »Und ihr? Esst ihr nichts?«
    Ihr Großvater schüttelte den Kopf. »Da wir nicht genau wussten, wann du kommst, haben wir schon zu Abend gegessen.«
    »Ein Stück Apfelstrudel passt immer rein«, grinste Lara. »Besonders wenn er von Oma ist.«
    »Da hast du recht«, lachte der Professor. »Martha, gib mir einen Teller. Und bitte viel Vanillesoße.«
    Kurz darauf aß auch er genüsslich und sogar ihre Großmutter nahm sich ein Stück und setzte sich zu ihnen an den Küchentisch.
    Eine Weile aßen sie schweigend, dann sagte Martha vorsichtig: »Deine Mutter hat uns von Ben erzählt.«
    Lara blickte auf. Sie sah die Anteilnahme in den Augen ihrer Großmutter. »Dazu gibt es nichts zu sagen.« Es klang härter als beabsichtigt.
    Ihr Großvater schaute von seinem Teller auf. Sein Blick war eindringlich. »Das mag sein, aber falls du darüber reden willst – du weißt, wir können zuhören.«
    »Ja, das weiß ich«, gab Lara zu. Trotzdem wollte sie das Thema unbedingt vermeiden.
    »Was hast du in Berlin vor? Schon irgendwelche Pläne gemacht?«, wollte Martha wissen und wechselte geschickt das Thema.
    Lara schüttelte erleichtert den Kopf. »Ich hab keine Ahnung«, gab sie zu und schob sich das letzte Stück Apfelstrudel in den Mund. »Auf jeden Fall will ich ein bisschen durch die Stadt ziehen. Vielleicht lerne ich ja ein paar coole Leute kennen.«
    »Na, das klingt doch gut. Möchtest du noch ein Stück Apfelstrudel?«
    Lara verneinte. »Ich bin ziemlich müde. Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich jetzt gern nach oben gehen. Schließlich habe ich Ferien und ich bin heute viel zu früh aufgestanden!«
    Martha lächelte und stand auf. »Lass alles stehen«, sagte sie, als Lara Teller und Besteck wegräumen wollte. »Komm, ich zeig dir dein Zimmer.«
    Nachdem Lara ihrem Opa eine gute Nacht gewünscht hatte, stieg sie hinter ihrer Großmutter die Treppe hinauf.
    Und jeder Schritt war ein Schritt in die Vergangenheit. Die Erinnerung an ihren bisher einzigen Besuch stieg in ihr auf und mit ihr kam ein Gefühl von Geborgenheit. Es war bestimmt die richtige Entscheidung gewesen, nach Berlin zu kommen, um Ben zu vergessen.
    Vielleicht würde es bald weniger wehtun, an
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