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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel
Autoren: Rainer Wekwerth
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lassen von den Menschenmengen, die die Stadt bevölkerten. Sie hatte das Brandenburger Tor besucht und eine Currywurst auf dem Alexanderplatz gegessen. Sie hatte die letzten warmen Strahlen der Spätsommersonne genossen und sich mit einem Coffee-to-go an das Ufer der Spree gesetzt, wo ein paar Jugendliche Musik gemacht hatten.
    Berlin war anders als alles, was sie kannte. Es war so groß, dass man verloren ging, wenn man keinen Stadtplan benutzte. Die Menschen waren nett, mit offenen Gesichtern und beantworteten freundlich ihre Fragen, wenn man sie nach bestimmten Orten oder nach einer Richtung fragte.
    Sie fand die Metropole aufregend und genoss es, anonym zwischen den Menschen dahinzutreiben, aber nach einem Tag in der Stadt freute sich Lara darauf, noch ein bisschen durch den kleinen Park zu schlendern. So konnte sie wieder runterkommen und ihre Gedanken ordnen.
    Lara hatte das Haus ihrer Großeltern schon ein ganzes Stück hinter sich gelassen und bog nun in eine schmale Gasse ein, die direkt auf den Park zuführte. Außer ihr waren kaum Leute unterwegs. Ein Jogger kam ihr entgegen, er hatte seine Fleecemütze weit über die Ohren gezogen. Eine Windböe fuhr durch die Bäume und wirbelte braune Blätter durch die immer kälter werdende Abendluft. Als Lara das Ende der Gasse erreicht hatte, überquerte sie einen Zebrastreifen und betrat den Park.
    Es war nicht wirklich dunkel hier, aber die Schatten drängten von allen Seiten an den schmalen Kiesweg. Lediglich einige in großen Abständen verteilte Laternen schufen hell erleuchtete Passagen.
    In den Büschen und Bäumen raschelten Tiere, wahrscheinlich Vögel, die einen Schlafplatz für die Nacht suchten. Über allem lag der Geruch feuchten Laubes und der Geruch nach Vergänglichkeit. Die Blüten der meisten Blumen waren längst verwelkt, sie strömten einen süßlichen Duft aus, der vom Sommer erzählte und vom nahenden Winter kündete.
    Unwillkürlich musste Lara an zu Hause denken – und an Ben. Während sie in der Stadt von all den neuen Eindrücken förmlich überschwemmt worden war, gab es hier nichts, das ihre Gedanken abgelenkt hätte. Ihre Füße folgten dem bekannten Weg von allein. Sie hielt den Kopf gesenkt und so bemerkte sie den Jungen erst, als sie mit ihm zusammenstieß.
    Kurz taumelte sie, dann fand sie das Gleichgewicht wieder und trat unbewusst einen Schritt zurück.
    »Entschuldigung. Ich war …«
    Lara schaute auf. Dunkle Augen blickten sie durchdringend an. Etwas Lauerndes lag in diesem Blick. Der Junge mochte in ihrem Alter sein. Wirres schwarzes Haar lugte unter der Kapuze seiner Jacke hervor. Seine Haut war glatt, fast als hätte sie jemand zu fest über die Wangenknochen gespannt. Schweigend starrte er sie an.
    »Es tut mir leid«, stammelte Lara und wollte sich abwenden.
    Eine Hand streckte sich nach ihr aus, packte sie am Ärmel ihrer Jacke.
    »Du gehst nirgendwohin«, sagte er leise.
    Angst durchströmte Laras Körper. Sie wollte protestieren, ihn auffordern, sie sofort loszulassen, aber nur ein stummes Krächzen verließ ihre Lippen.
    Der Junge grinste wölfisch.
    Hinter ihm erschien ein weiterer Schatten.
    Er war nicht allein.
    »Was soll das?«, stieß Lara hervor und versuchte, sich aus dem Griff des Jungen zu befreien. »Lass mich …«
    Der Schlag kam unerwartet. Hart und schmerzvoll. Die Ohrfeige warf sie zu Boden.
    »Halt’s Maul, Schlampe!« Seine Stimme keuchte vor Erregung.
    Lara versuchte, sich aufzurappeln, aber da war er auch schon über ihr. Im nächsten Moment saß er rittlings auf ihr und sein Gewicht drückte ihren Körper in den nassen Kies. Mit fliegenden Händen riss er ihre Jacke auf, so als öffne er einen Vorhang.
    »Ich … bitte …« Lara wollte schreien, wollte nach Hilfe rufen, doch in diesem Moment legten sich Finger über ihren Mund, raubten ihr den Atem. Der Junge beugte sich zu ihr hinab, flüsterte in ihr Ohr: »Kein Wort mehr. Du wirst tun, was ich dir sage, oder ich mach dich alle. Hast du das verstanden?«
    Lara nickte heftig. Ihre Augen waren aufgerissen und sie sah in seinem Blick, dass er es ernst meinte. Die Hand löste sich von ihren Lippen, dann wurde ihr Pullover hochgeschoben. Laras Herz begann zu rasen, das Blut rauschte in ihren Ohren.
    »Geil!«, meinte der zweite Junge, der ins Licht der Laterne trat.
    Lara wandte ihm den Kopf zu. Er war nicht viel älter als der Junge, mit dem sie zusammengeprallt war. Blondes, strähniges Haar fiel ihm in die Stirn. Sein Gesicht hatte etwas
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