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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel
Autoren: Rainer Wekwerth
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passiert?«
    Bevor Lara überhaupt etwas sagen konnte, hatte Martha sie auch schon am Arm gefasst und in den Flur gezogen. »Was ist geschehen? Hattest du einen Unfall? Bist du gestürzt?«
    Ihr Großvater trat einen Schritt näher. »Martha, lass das Mädchen doch erst mal Luft holen. Dann wird sie uns schon sagen, was passiert ist.«
    Nachdem alle in die Küche gegangen waren und auf den Stühlen Platz genommen hatten, blickte Lara in die angespannten Gesichter ihrer Großeltern. In diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie unglaubliches Glück gehabt hatte und ihr eigentlich nichts passiert war. Sie entschied sich, so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, ohne ihre Großeltern unnötig aufzuregen. »Zwei Jungs in meinem Alter haben mich im Park angerempelt und wurden aggressiv.« Laras Stimme zitterte, sie räusperte sich, bat ihre Großmutter um ein Glas Wasser und erzählte dann weiter. »Einer von den beiden hat mir eine Ohrfeige verpasst, da bin ich hingefallen. Damian kam hinzu und hat sich eingemischt, da haben sie auf ihn eingeprügelt, aber als sie hörten, dass jemand kommt, sind sie abgehauen.«
    Sie verschwieg, dass einer der beiden ihr den BH heruntergerissen und versucht hatte, sie auszuziehen. Für Details war auch später noch Zeit, im Moment fühlte sie sich müde und erschöpft und konnte kaum noch die Augen offen halten.
    »Oh mein Gott«, sagte ihre Großmutter. »Hast du Schmerzen? Tut dir etwas weh?«
    »Nein, ich fühle mich nur etwas schwach, aber es geht bestimmt gleich wieder besser«, meinte Lara zögerlich.
    »Wir müssen die Polizei verständigen«, sagte Max ruhig.
    »Können wir das nicht morgen machen, Opa?«
    »Wir werden einen Arzt rufen«, bestimmte Martha.
    »Nein, das ist nicht nötig«, erklärte Lara. »Ich würde mich nur gern ein wenig hinlegen.« Doch als sie aufstand, wurde ihr schwindelig. Alles Blut wich aus ihrem Gesicht.
    »Du siehst aus wie ein Gespenst«, sagte ihre Großmutter besorgt. »Ich bringe dich jetzt ins Bett und keine Widerrede.« Sie nahm Laras Arm und führte sie aus der Küche und die Treppe hinauf.
    Lara konnte hören, dass Damian und Max ebenfalls aufgestanden waren. Auf dem Absatz drehte sie sich noch einmal um. Sie wollte sich von Damian, der nun im Flur stand, verabschieden, aber er hatte ihr den Rücken zugewandt. Das Letzte, was Lara an diesem Tag sah, war der merkwürdige Blick, den ihr Großvater Damian zuwarf. Fast schien es, als tauschten die beiden eine stumme Botschaft aus.

6.
    Als Lara erwachte, schien es ihr, als tauche sie aus einem tiefen dunklen See zur Oberfläche auf. Die Sonne schien hell ins Zimmer und kündete von einem warmen Herbsttag.
    Sie hatte nicht geträumt oder erinnerte sich zumindest nicht daran, trotzdem fühlte sie sich wie erschlagen. Ihr Blick fiel auf den Digitalwecker. Elf Uhr vierunddreißig – sie hatte fast den ganzen Vormittag verschlafen!
    Als sie aufstand, spürte Lara, wie ihre Beine zitterten. Und mit dem Zittern kehrte die Erinnerung zurück. Galle stieg in ihrem Mund auf. Auf nackten Füßen lief Lara ins Bad und spülte ihren Mund mit kaltem, frischem Wasser aus. Als sie einen Blick in den Spiegel warf, zuckte Lara zusammen. Das konnte unmöglich sie sein!
    Das bleiche Gesicht eines Gespenstes schien ihr entgegenzublicken. Die Haare fielen ihr strähnig auf die Schultern, ihre Augen lagen tief in den Höhlen, die Farbe ihrer Iris wirkte stumpf und erinnerte an verschmutzte Glaskugeln. Sie fasste mit beiden Händen nach ihren Wangen, schob sie hoch und runter, aber trotzdem sah es aus, als wäre das Fleisch von ihnen abgefallen.
    Ich sehe schlimm aus. Dann verbesserte sie sich in Gedanken. Nein, ich sehe furchtbar aus. Wie der leibhaftige Tod.
    Sie stellte erneut das Wasser an, hielt die gewölbten Handflächen darunter und klatschte sich das kühle Nass ins Gesicht.
    Besser.
    Etwas Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. Erst jetzt bemerkte sie die rote Schramme an ihrem Hals. Sie begann unterhalb des linken Ohrläppchens und zog sich bis zum Schlüsselbein. Als sie die Linie mit dem Finger nachfuhr, spürte sie keinen Schmerz.
    Laura griff nach ihrer Zahnbürste und schrubbte, bis ihr Zahnfleisch brannte. Als sie den Mund ausspülte, hörte sie ihre Großmutter von unten rufen.
    »Lara, bist du wach?« Dann eine kleine Pause. »Kommst du zum Frühstück? Ich habe Rührei und frischen Toast gemacht. Komm, bevor alles kalt wird.«
    Ihr war überhaupt nicht nach Essen zumute, dennoch rief sie
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