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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel
Autoren: Rainer Wekwerth
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blutverschmierten Gesicht. Seine Unterlippe war geplatzt und Blut sickerte daraus hervor. Ein dünnes Rinnsal lief aus seiner Nase über das Kinn den Hals hinunter. Aber er atmete und war bei Bewusstsein. Als Lara vorsichtig sein Gesicht in beide Hände nahm, versuchte er ein Lächeln.
    »Fast hätten sie mich erwischt«, stöhnte er. Er grinste schmerzverzerrt und streckte eine Hand aus.
    »Hilf mir auf die Beine.«
    »Vielleicht solltest du …«
    »Hilf mir.«
    Lara stand mühsam auf, ergriff seine Hand und zog ihn hoch, dann standen sie sich schweigend gegenüber.
    »Danke«, sagte sie leise.
    Er strich sich eine Haarsträhne aus den Augen und befühlte seine aufgeplatzte Lippe und die Zähne.
    »Scheinen noch alle da zu sein.«
    »Wir sollten einen Arzt und die Polizei rufen.«
    »Wozu?«
    »Du bist verletzt.«
    Er lächelte auf eine eigentümliche Art. »Warmes Wasser und ein bisschen Jod reichen aus. Ich habe keine Lust, die ganze Nacht im Krankenhaus oder auf einem Polizeirevier zu verbringen.«
    »Wie geht es dir?«, fragte Lara.
    Er lachte laut auf und presste dabei die Hände auf die Rippen. »Blendend.« Sein Blick drang in ihre Augen. »Und du? Wie geht es dir? Bist du verletzt?«
    Lara blickte an sich herab. Ihr Pullover war über dem Bauch etwas ausgeleiert und der oberste Knopf ihrer Jeans war verschwunden, weshalb die Hose ein Stück aufklaffte. Hastig zog sie den Reißverschluss ihrer Jacke zu. Auf dem Boden lag ihr zerfetzter BH. Mit zitternden Händen hob sie ihn auf und stopfte ihn schnell in ihre Jackentasche.
    »Ich denke … mir ist nichts passiert …«
    Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Einen Moment lang sah der junge Mann sie stumm an, dann nahm er sie in die Arme.
    »Wo wohnst du?«, fragte er leise. »Ich bringe dich nach Hause.«

5.
    »Dort«, sagte Lara und deutete auf den schwarzen Schatten des Hauses, das sich wie ein Scherenschnitt vor dem Nachthimmel abhob. »Am Ende des Weges. Das ist es. Das Haus meiner Großeltern.«
    Ihr Schritt war nun fester, das Zittern hatte sich gelegt, aber Lara fühlte sich unheimlich müde und erschöpft.
    Der fremde junge Mann ging schweigend neben ihr. Den ganzen Weg vom Park bis hierher hatte er kaum gesprochen. Nur hin und wieder gefragt, ob es ihr gut gehe. Lara spürte seine Kraft durch den Stoff der Jacke hindurch, als seine Hand sich um ihren Oberarm legte, um sie zu stützen, als sie die Straße überquerten.
    Sie benötigte seine Hilfe nicht, denn längst fühlte sie sich nicht mehr schwach, aber sein Griff vermittelte ihr das angenehme Gefühl, beschützt zu werden. Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Sie blieb unvermittelt stehen und sah ihn an. Seine Augen leuchteten im Licht der Straßenlaterne, als er sich umwandte und ihr in die Augen blickte.
    »Ist was?«, fragte er. Seine Stimme war warm und mitfühlend.
    »Ja«, lächelte Lara schüchtern. »Ich habe dich gar nicht nach deinem Namen gefragt.«
    Ein jungenhaftes Grinsen zog über sein Gesicht. Er schob sich eine Strähne aus der Stirn. »Ich bin ganz schön unhöflich.« Dann wurde er ernst und streckte ihr die Hand entgegen. »Damian. Mein Name ist Damian Antas.«
    Lara ergriff seine Hand und erschauerte, als ein Kribbeln ihren Arm hinauflief.
    »Lara.«
    Wieder tauchte dieses schiefe Grinsen auf. »Und weiter?«
    »Winter.«
    »Ein schöner Name. Schöner Klang.« Dann wiederholte er ihn, flüsterte ihn. »Lara Winter.«
    »Danke, dass du mir geholfen hast«, sagte Lara.
    »Nicht der Rede wert.«
    »Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn du nicht eingegriffen hättest.«
    Er sagte nichts, fasste nur wieder nach ihrer Hand und hielt sie fest.
    Lara fühlte sich geborgen in seiner Nähe. Das schmale Gesicht strahlte Ruhe und Kraft aus. Der Wind spielte mit seinen schwarzen Haaren und in Lara stieg das Gefühl auf, ihn schon einmal gesehen zu haben. Aber das war natürlich Unsinn.
    »Lass uns weitergehen«, sagte Lara. »Ich bin okay.«
    Er nickte und lief los.
    Ihre Hand hielt er fest in seiner.
     
    Die Haustür flog schon nach dem ersten Läuten auf, so als hätten ihre Großeltern direkt hinter der Tür gewartet. Die beiden alten Leute waren entgegen Laras Vermutung noch nicht im Bett gewesen.
    Marthas weiße Haare sahen aus wie frisch frisiert und ihr Großvater trug Stiefel statt der um diese Zeit üblichen Pantoffeln. Fast schien es, als hätten ihre Großeltern auf sie gewartet.
    »Oh mein Gott«, rief ihre Großmutter. »Lara, was ist
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