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Kurt Ostbahn - Platzangst

Kurt Ostbahn - Platzangst

Titel: Kurt Ostbahn - Platzangst
Autoren: Guenter Broedl
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    Es ist kein guter Morgen.
    Das weiß ich. Auch wenn die Frohnatur aus dem Radio hartnäckig das Gegenteil behauptet. Und „Let the Sunshine in“, dargeboten vom originalen „Hair“-Ensemble, wird an meiner Einschätzung der Lage garantiert nix ändern.
    Es ist kein guter Morgen.
    Denn ihm ist eine lange Nacht im Rallye vorangegangen, und jetzt bitten Kopf, Kreislauf und Verdauungstrakt flehentlich um noch ein paar Stunden Schlaf, während ein Dutzend ahnungsloser Hippies so tut, als wäre diese Welt noch zu retten. Ich taste mich im Halbdunkel, vorbei an allerlei Gerät und Gerümpel, zum Lautstärkeregler des Radioweckers, um der frohlockenden Folter endlich den Garaus zu machen. Dann ist zwar plötzlich Ruhe in der Bude, aber in meiner Birne hat sich das Tagesmotto zu einer dröhnenden Endlosschleife ausgewachsen.
    Kein guter Morgen.
    Kein. Guter. Morgen.
    Falls Sie je das zweifelhafte Vergnügen hatten, eine Nacht mit Berufsmusikern von über 28 zu verbringen, dann wissen Sie zumindest ansatzweise, wie ich mich jetzt fühle. Anfangs sind solche Treffen die reine Freude. Es rennt der Schmäh, es schmeckt das Bier, und jeder schüttelt ein paar Anekdoten über gemeinsam durchlebte Höhen und Tiefen aus dem Ärmel. Ab einem gewissen Grad der Alkoholisierung kreist das Gespräch dann um nicht anwesende Kollegen, die es noch viel schlechter erwischt haben als man selbst. Jeder am Tisch weiß von mindestens einem halben Dutzend Tournee- oder Studiojobs, die nur die Härtesten der Zunft ohne massive Sinnkrise überstanden haben. Zu fortgeschrittener Stunde gilt das Mitleid dann in erster Linie sich selbst, und jeder hat die eine große Chance vor Augen, die ihn aus den Niederungen des Wiener Musikantenlebens hinauf nach München oder Berlin, wenn nicht gar nach New York oder Los Angeles gebracht hätte, – wäre da nicht die Sache mit der Dings gewesen. Und dann, unter dem Einfluß härterer Getränke (letzte Nacht war’s eine Flasche Fernet, die der Herr Josef auf meine dringende Bitte hin kurz nach Sperrstunde auf den Tisch gestellt hat), ist nur noch von jener Frau im Leben jedes Musikanten die Rede, für die man sogar seine Karriere geopfert hätte, wenn nicht im entscheidenden Moment alles ganz anders gekommen wäre, weswegen man letztlich jetzt hier hockt, im Rallye in der Sechshauser Straße, „Love Hurts“ aus der Jukebox trieft, und der eigentliche Grund dieses Gipfeltreffens in einem Meer aus Melancholie und Magenbitter versinkt.
    Es hätte eine Tourneebesprechung werden sollen. Aber der Trainer war nicht da. Weil auf Urlaub. Und ohne Trainer, ohne seine straffe Gesprächsführung, komplett mit Tagesordnung, Probenplan und vergleichenden Musikbeispielen, ist offensichtlich kein vernünftiges Besprechen möglich.
    Also keine Nacht, an die man sich dringend erinnern müßte, denn alles, was gesagt wurde, ist bereits bei ähnlichen Gelegenheiten dutzendfach gesagt worden, mit immer dem selben Ergebnis: der Morgen danach war die Hölle.
    Und jetzt hupt auch noch der Chevy.
    Ich weiß irgendwie ganz genau, daß sich der gar nicht gute Morgen zu einem ebensolchen Tag auswachsen wird, wenn ich jetzt das Dach des himmelblauen 57er Chevrolets abnehme und fernmündlich den Kontakt zur Außenwelt aufnehme.
    Ich weiß es ganz genau. Und ich tu es trotzdem.
    „Ostbahn“, sage ich und muß husten.
    Entweder es liegt an meiner Stimme, die sich anhört, als käme sie direkt aus dem Jenseits, oder es ist der Hustenanfall, den ein schreckhafter Anrufer als den Schlachtruf eines tollwütigen Dobermann mißdeuten könnte, jedenfalls hat es der Person am andern Ende der Leitung die Sprache verschlagen. Ich horch mir eine Zeitlang das von leisem Rauschen und rhythmischen Klopflauten umspülte Schweigen an und will schon auflegen, als irgendwo aus weiter Feme eine Stimme zu mir herüberweht.
    „Kurtl!“ höre ich sie sagen, und nach dem ohrenbetäubenden Knattern einer MP-Salve: „Scheißhandy!“
    Dann ist die Verbindung unterbrochen. Ich hab die Stimme nicht mit Sicherheit erkannt, aber als ich das Dach zurück auf den himmelblauen Chevy lege, beschleicht mich eine böse Vorahnung. Das könnte mein Bautrupp gewesen sein, der eigentlich in zehn Minuten hier antanzen sollte, um endlich den vergammelten Linoleumboden und die gesprungenen Kacheln aus der Kaltenbeck-Küche zu reißen, damit morgen früh die Firma Hasenöhrl endlich die Installationsarbeiten in meinem zukünftigen Badezimmer aufnehmen kann.
    Mein erstes
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