Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns
Autoren: Peter S. Beagle
Vom Netzwerk:
Runde, um sich zu orientieren.
    Okay. Okay. Alles ist wie immer, ich war bei Abuelita in Silver Pines, und ich bin gerade auf dem Heimweg. Okay. Ich geh’ nach Hause.
    Doch blieb sie noch eine Weile stehen, wo sie war, blickte vage in die leeren, halbzerstörten Straßen, ohne sie wahrzunehmen. Nicht die leiseste Andeutung der Grenze war zu sehen, und sie konnte auch keinen einzigen kessen Ton der Musik Shei’rahs hören, so konzentriert sie auch lauschen mochte. Aber vielleicht habe ich sie nie wirklich gehört. Vielleicht habe ich sie nur in meinem Inneren gespürt, so wie die Stimmen der Ältesten. Das werde ich nie mehr erfahren. Abrupt wandte sie sich um und ging.
    Doch ging sie nicht sofort nach Hause. Abends fand sie sich in Papas’ Musikladen ein, saß an John Papas’ Schreibtisch und trug den alten Bademantel seines Freundes, Mr. Provotakis, während ihre Jeans vor einem kleinen Ofen dampften. John Papas stellte abwechselnd Fragen, schenkte ihr noch etwas Kaffee ein und erinnerte sie daran, daß sie ihre Eltern anrufen mußte, was sie bereits getan hatte. »Das Heim hat sich schon wegen Abuelita gemeldet. Ich habe ihnen erzählt, daß sie viel von Las Perlas geredet hat und jetzt vielleicht tatsächlich auf dem Weg dorthin ist. Das sieht ihr doch ähnlich, meiner Abuelita.« Ihre Stimme bebte ein wenig, und sie verbarg es hinter einem Schluck Kaffee.
    »Glaubst du, sie haben es dir abgekauft?« fragte John Papas. Joey zuckte müde mit den Schultern. »Sie werden schon noch auf den Geschmack kommen. Kostet einen Haufen Geld, jemanden in einem Heim unterzubringen. Abends haben sie oft darüber gesprochen. Sie werden nicht besonders lange suchen, da bin ich mir sicher.«
    Die beiden schwiegen eine Weile. Schließlich sagte John Papas: »Alles eingeschmolzen, ja? Und er hat es zugelassen? Was für ein Junge, dieser Indigo.« Er nickte zum silberblauen Horn hinüber, das dort an einen alten Posaunen kästen gelehnt stand. »Mir ist ganz komisch damit, vielleicht sollte ich es ihm zurückgeben. Was meinst du?«
    »Er würde es nicht annehmen«, sagte Joey.
    John Papas nickte. »Na, ich werde mir was einfallen lassen, wie ich mich mit ihm versöhnen kann, falls es irgendwie geht. Ist er denn noch in der Nähe?«
    »Er mußte zurückbleiben, als Shei’rah… als Shei’rah sich verschoben hat.« Muß mich daran gewöhnen, es zu sagen, es zu denken, das muß ich, unbedingt. Auch Indigo muß es.
    »Was für ein Junge«, wiederholte John Papas. Wieder deutete er auf das Horn. »Spiel doch. Spiel dieses Shei’rah für einen alten Mann, der es nie sehen wird. Spiel, bitte!«
    Joey schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Es gehört ihm. Behalten Sie es, verkaufen Sie es, tun Sie damit, was Sie wollen, das ist in Ordnung, aber es gehört trotzdem ihm.« Dann stand sie auf, zögerte, setzte sich beinahe wieder hin, ging dann zum Klavier und setzte sich, stützte ihre Hände auf die Tastatur. Der Notenständer war mit Blättern bedeckt, die sie selbst vollgekritzelt hatte, doch sah sie diese nicht mal an.
    Eine lange, schreckliche Weile sang nichts in ihr.
    Es ist weg. Verloren mit Shei’rah, die Musik und Abuelita und alle… einfach alle weg. Nie geschehen. Nichts davon. Dann, wie aus eigenem Impuls, zuckte ihre rechte Hand zu einem plötzlichen Dreitonhagel, und ihre linke Hand folgte diesem mit der langen, langsam schwellenden Pracht eines Mondaufgangs in Shei’rah. Von irgendwoher sagte John Papas: »Hah!« und sagte: »Das!« und sagte noch etwas auf griechisch. Joey schob die Ärmel von Mr. Provotakis’ Bademantel hoch.
    Die Musik Shei’rahs flatterte unter ihren Händen auf, hieß sie willkommen. In dem kleinen Laden klang das Klavier wie ein ganzes Orchester, schmückte jubilierend Klänge aus, die auf der anderen Seite der Grenze geboren waren und aus Joey hervorsprudelten, derart mitreißend aus ihr aufwallten, daß sie weder nachdenken noch sie unterdrücken konnte. Sie schloß die Augen, während sie spielte, und sah Ko nicht nur, sondern roch ihn auch, ebenso wie die Javadur-Früchte, die er ihr gebracht hatte, und den Waldboden, weich von blauen Blättern. Wieder spazierte sie mit Prinzessin Lisha und klammerte sich an Touriqs Rücken, während er mit den anderen jungen Einhörnern um die Wette lief. Sie hörte das Lachen der Bach-Jalla ebenso wie das Plätschern ihrer Strömung und wie die Perytone mit den Zähnen klickten, wenn sie sich auf ihre Beute stürzten. Es war fast zuviel für sie, und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher