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Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns
Autoren: Peter S. Beagle
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Indigo und Joey hin und her, dann seufzte und nickte er wieder. »Okay. Okay. Ich such’ dir eine Kiste.«
    Sie mußten auf den Mond warten, und so saßen die beiden unter freiem Himmel Seite an Seite vor einer Kaffeebude in der Nähe der Autobahn. Indigo bestellte cafe mocho – »Bisher meine größte Entdeckung in eurer Welt! Wer weiß, welche Wunder mich noch erwarten?« –, und Joey überlegte, wovor sie ihn wohl noch warnen könnte, vielleicht vor Taschendieben, Cholesterin, Tetanusspritzen, den Einwanderungsbehörden (»La migra, nennt Abuelita sie – denk dran, Indigo, du mußt dir unbedingt eine Green Card beschaffen!«) und der angegriffenen Ozonschicht. Als sie ihm schließlich gerade erklären wollte, was es mit den Zufallsmorden aus fahrenden Autos auf sich hatte, sagte er in seiner alten Gereiztheit: »Erzähl mir doch was Gutes über deine Welt, etwas, was du magst, etwas, was wir in Shei’rah nicht haben. Den Rest kann ich selbst rausfinden.«
    Joey suchte lange nach einer Antwort. »Na, Katzen sind was Schönes. Wir haben keine, weil ich allergisch gegen sie bin, aber Katzen sind wirklich süß.« Sie hatte das Gefühl, daß ganz Shei’rah sie durch Indigos Augen beobachtete, voller Erwartung, was sie wohl antworten würde. »Dieser Mann«, sagte sie. »Der unter der Autobahn. Der sich um deine Freundin gekümmert hat, der ihr die Pizza brachte.« Indigo nickte. Joey sagte: »Du hattest recht, das zählt auch zu den guten Dingen. Das ist das Schönste, was wir haben.«
    Der Himmel über Woodmont war so schwer und starr vor Smog, daß sie nicht hätte sagen können, ob der Mond inzwischen aufgegangen war, doch Indigo wußte es. Er trank noch einen café mocho, wischte sich den Mund ab, grinste wie einer, der gerade die Schule schwänzt, und streckte die Hand aus. Joey saß unbeweglich, konnte nicht mehr aufstehen. Indigo sagte: »Komm. Ich begleite dich.«
    Sie ließ ihn auf der Verkehrsinsel zurück, die Arme voll goldener Münzen und Schmuck und kleiner, religiöser Figuren, die Augen so blind und verschwommen von Tränen, daß Indigo sie brüsk zur Grenze hin umdrehen und ihr erklären mußte: »Geh. Rette das Augenlicht der Meinigen, oder laß sie mit klebriger, nutzloser Salbe auf den Augen zurück. Es ist egal. Wir tun, was uns bestimmt ist.«
    »Mr. Papas wird dir helfen«, plapperte Joey. »Und ich komme wieder und helfe dir. Es wird alles gut werden.«
     
    »Es ist schon jetzt gut«, sagte Indigo sanft. »Was glaubst du, wieso die Ältesten überhaupt erblindet sind?«
     
    »Was?« Joey versuchte, sich in seinem Griff umzudrehen. »Was hast du gesagt?«
    »Frag deine Großmutter.« Für einen kleinen Augenblick lagen Indigos Hände freundlich auf ihren Schultern. »Sie weiß es, deine Abuelita. Hör auf zu zappeln, Fina Rivera, paß auf den Lastwagen auf… Jetzt!« Seine Hände berührten sie am Rücken, und mit Schwung stieß er sie über die Grenze und in die wilde Ruhe Shei’rahs hinein.
    Es stellte sich heraus, daß es erheblich einfacher gewesen war, das Gold für Abuelitas Augensalbe aufzutreiben, als die dazugehörigen Kräuter zu finden. Diejenigen, an die Abuelita sich erinnerte, hatten in Shei’rah keine Entsprechung, und man konnte sie nur erraten. Andere waren zwar bekannt, aber entmutigend selten. Doch sie konnten auf die unbezahlbare Hilfe der Tirujai bauen, die überall hinkamen und alles über Pflanzen wußten. Und die Bach-Jallas des Landes entfalteten ihre ungeheuren Kenntnisse über sämtliche Pflanzen, die in fließendem Wasser wuchsen. Joeys Wahlschwester fragte sogar Indigos Fluß-Jalla-Bekannte um Rat. Wie sie diese jedoch dazu überredet hatte, das entscheidende Mittel für die Salbe –Tierfett – zu beschaffen, und woher es stammte, fragte Joey nicht, und sie wollte es auch nicht wissen. Abuelita blieb so sachlich wie immer, sagte nur: »Was glaubst du, wie wir es in Las Perlas gemacht haben? Sei nicht so empfindlich, Fina.« Zu diesem Zeitpunkt rührte sie die Mischung gerade mit ihren bloßen braunen Händen.
    Schließlich schaffte Abuelita es auch, ein Feuer zu entfachen, das heiß genug war, Gold zu schmelzen. Sie überredete einfach einige erwachsene Shendi dazu, ihre winzigen, aber glühend heißen Flammen auf eine Mulde zu konzentrieren, die sie in den feuchten Sand eines Flußufers gegraben und mit Indigos Münzen angefüllt hatte. Als Joey wissen wollte, wie sie sich mit den kleinen Drachen verständigt hatte, erwiderte ihre Großmutter:
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