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Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns
Autoren: Peter S. Beagle
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seine Abrechnung zu fälschen. Du wischst auf, saugst Staub, wozu du eben Lust hast, versuchst vielleicht noch mal die Toilette zu reparieren.« Dann grinste er sie für einen Moment freundlich an. »Wenn ich wieder da bin, reden wir ein bißchen über die Musik, üben noch ein paar Akkorde, und vielleicht können wir sogar ein paar von deinen Sachen aufschreiben. Das Grübeln verschieben wir auf später. Abgemacht?«
    Joey nickte. John Papas steuerte resolut Richtung Tür, warf ihr aber noch über die Schulter zu: »Denk dran, daß die gierigen kleinen Hände in meinen Sachen nichts zu suchen haben. Wenn dieser Mann, wie heißt er doch gleich, sein Saxophon abholen will, sag ihm, daß er warten soll. Ich bin bald wieder zurück und bring’ dir guten, griechischen Kaffee mit.«
    Als er weg war, sah Joey sich um, als gehöre plötzlich alles ihr. Der Laden bestand aus einem großen Raum, der sich je nach Lust und Laune in zwei kleinere aufteilen ließ. Sie stand auf der Seite, die als Verkaufsraum diente und vollgestopft war mit Instrumentenvitrinen, Notenregalen und Gitarren, die ihre Schatten warfen. Die andere Seite, dunkler und aufgeräumter, diente John Papas als Werkstatt. Hier waren die Wände weiß getüncht und kahl, sah man einmal von zwei gerahmten, griechischen Konzertplakaten ab. Einige wenige Saiten- und jede Menge Holzblasinstrumente lagen, das eine mehr, das andere weniger zerlegt, sorgsam ausgebreitet und mit Schildchen numeriert auf einem langen Tisch. Sein Werkzeug verwahrte John Papas in einer großen Metallkiste.
    Joey nieste noch einmal und machte sich dann ans Werk. Die meiste Zeit verbrachte sie im Verkaufsraum, sortierte Notenhefte und Prospekte wieder in die Regale zurück, sammelte unzählige Kaffeetassen ein und leerte zwei Aschenbecher, aus denen sich dünne schwarze Zigarrenstummel über einen Berg von Rechnungen und Belegen auf den Ladentisch ergossen. Mittlerweile summte sie eine ganz andere Melodie als draußen auf der Straße, und beim Putzen entspannte sich ihre Miene langsam. Mit einer Stimme, die etwas höher und erheblich klarer war, als wenn sie sprach, sang sie wortlos vor sich hin, ohne sich dessen richtig bewußt zu sein. Das Lied wanderte wild zwischen Moll und Dur hin und her, wechselte die Tonart nach Belieben. Joey hatte es irgendwann einmal zu ihrem Abwaschlied erklärt.
    Sie reparierte die tropfende Toilette, und ihr fiel wieder ein, daß sie John Papas noch einmal daran erinnern mußte, den uralten Spülkasten zu ersetzen, ging zum Besenschrank, um den Staubsauger zu holen, und fing an, ganz laut zu singen, um sich über das Klappern und Heulen hinweg selbst zu hören. Sie putzte geduldig und gewissenhaft, saugte sogar die Hintertreppe, die auf einen Parkplatz hinaus führte. Weil die Maschine so einen Lärm machte, hörte sie nicht, wie die Ladentür ging. Als sie den Staubsauger abstellte, sich herumdrehte und den Jungen sah, schnappte sie vor Überraschung laut nach Luft, und das klang in der plötzlichen Stille wie ein Schrei.
    Der Junge lächelte sie an und hielt die Hände hoch. »Ich tu’ dir nichts«, sagte er. »Ich bin Indigo.«
    Er war zierlich, nur wenig größer als Joey, und er schien auch nicht viel älter zu sein. Nur war da ein Fließen in seinen Bewegungen, das sie an die Reportagen erinnerte, die sie im Fernsehen über Leoparden und Geparden gesehen hatte. Er trug seinen blauen Anorak trotz der Hitze geschlossen, hatte grobe Leinenhosen und schäbige Laufschuhe an. Und seine Augen waren vom dunkelsten Blau, das sie je gesehen hatte – echtes Indigo –, sie saßen in einem herzförmigen Gesicht, dessen Haut fast durchsichtig schien. Er hatte einen breiten Mund und kleine, spitze Ohren, nicht wie die von Mr. Spock im Fernsehen, aber ganz ähnlich zugespitzt. Für Joey war er der schönste Mensch, den sie je gesehen hatte, und sie fürchtete sich vor ihm.
    »Ich bin Indigo«, wiederholte der Junge. »Ich suche nach …«, und er tastete seltsam nach Worten, »… Papas’ Musikladen. Ist das hier Papas’ Musikladen?« Sein Akzent war anders als der von John Papas, melodischer, er erinnerte sie an die Sprache der Mädchen von den Westindischen Inseln auf ihrer Schule.
    »Hier ist Papas’ Musikladen«, sagte Joey, »aber Mr. Papas ist im Moment nicht hier. Er kommt bald wieder. Kann ich dir helfen?«
    Wieder lächelte Indigo. Joey bemerkte, daß seine Augen dunkler und geheimnisvoller wurden, wenn er lächelte. Er gab ihr keine Antwort, sondern griff
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