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Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns
Autoren: Peter S. Beagle
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kommt von weit her.«
    John Papas sagte: »Es muß synthetisch sein. In der Natur gibt es nichts, das einen solchen Klang hervorbringen könnte. Das ist mein Geschäft, Junge, da kenne ich mich aus.«
    Indigo gab keine Antwort und tat so, als wollte er das Horn wieder unter seinen Anorak schieben. Daraufhin stieß John Papas ein heiseres Stöhnen aus, als hätte man ihm in den Magen geboxt. In den knapp sechs Monaten, seit sie das erste Mal in seinen Laden gekommen war, hatte Joey weder ein solches Geräusch aus seinem Mund vernommen, noch hatte sie je ein derart wildes Verlangen in seinem Blick gesehen. Sanft fragte er: »Was willst du dafür haben?« Als er die Hand ausstreckte, um das silberblaue Horn wieder an sich zu nehmen, ließ er einen Pappbecher fallen, und Joey merkte zu spät, daß er sein Versprechen gehalten und ihr Kaffee mitgebracht hatte. Der spritzte neben ihr auf den Boden und versengte ihr die Knöchel, doch sie rührte sich nicht.
    John Papas schüttelte heftig den Kopf, versuchte sichtlich, einen Traum abzuschütteln. Langsam und mit deutlich griechischerem Akzent als sonst sagte er: »Ich möchte es kaufen. Sag mir, was du willst.«
    Indigo zögerte und schien nun selbst zum ersten Mal verunsichert. »Es wird Sie viel kosten, Mr. Papas.«
    John Papas befeuchtete die Lippen. Er sagte: »Ich warte.« Noch immer wirkte Indigo unsicher, fast ängstlich, und John Papas sagte etwas vehementer: »Komm schon, komm, was willst du dafür haben? Wieviel?«
    »Gold«, sagte der Junge. »Ich will Gold.« John Papas starrte ihn an, Joey tat dasselbe. Indigo wich ein Stück zurück, hielt das Horn fester umklammert. Er sagte: »In meinem… meinem Land kennen wir kein Geld, man kann nicht mit der Hilfe von Zettelchen kaufen oder verkaufen, wie ihr es macht. Aber ich reise viel, und merke, daß alle überall Gold wollen. Sie müssen mich in Gold bezahlen.«
    Joey lachte laut. »Mr. Papas hat kein Gold … was glaubst du, was er ist? Ein Pirat?« Indigo drehte sich zu ihr hin, und sie wich einen Schritt zurück. »Niemand hat heutzutage noch Gold«, sagte sie. »Das gibt es doch nur in Büchern.«
    Doch John Papas gab ihr ein Zeichen, still zu sein und sagte barsch: »Warte, halt den Mund, Mädchen«, und dann, an Indigo gewandt: »Also. Wieviel Gold?«
    Indigos Lächeln und seine unterkühlte Selbstsicherheit kehrten fast augenblicklich zurück. »Wieviel haben Sie denn?« John Papas machte den Mund auf und schloß ihn wieder. Indigo sagte: »Wenn Gold so selten ist… das Horn ist noch seltener. Glauben Sie mir.«
    John Papas stand da und sah ihn lange an, und dann nickte er. Er sagte: »Warte«, drehte sich um und verschwand im Dunkel der Werkstatt. Joey hörte, wie sich die Tür des winzigen Nebenraumes, der ihm als Büro diente, öffnete und schloß. Allein mit Indigo, so als ob sie nun einen langweiligen Verwandten unterhalten müßte, sah sie an ihm vorbei, wich dem Blick seiner beunruhigenden Augen aus. Durchs Schaufenster konnte sie die flache, heiße Straße draußen sehen, auf der sich Autos vorüberquälten und merkwürdige Gestalten in ihr Blickfeld wirbelten, um dann wieder kleiner zu werden wie Fische, die in einem Aquarium ihre Runde drehen. Angesichts von Indigos schiefem Grinsen schien ihr die öde vertraute Welt da draußen vor dem Fenster so unwirklich wie die Welt, in die ihr Vater und ihre Mutter jeden Tag entschwanden. Erleichtert hörte sie, daß John Papas zurückkam.
    »Gold«, sagte er. »Du willst Gold, Junge? Papas zeigt dir Gold.« Er trug einen hölzernen Kasten unter dem Arm. Der war lang und flach, sah wie der Farbkasten eines Malers aus, nicht einmal die Flecke und Kleckse an der Seite fehlten. Als John Papas den Kasten auf den Ladentisch stellte, hörte Joey, daß etwas Hartes darin rutschte und rasselte, und sie spürte, wie ihr Atem hinten in der Kehle kratzte. Papas schob irgendwo einen doppelbärtigen Schlüssel hinein, wo gar kein Schlüsselloch zu sein schien. Das Schloß machte keinerlei Geräusch, als er ihn herumdrehte. John Papas klappte den Deckel auf, und Joey sah, daß der Kasten zur Hälfte mit alten Münzen gefüllt war, deren Größe zwischen der eines Dime und eines Silberdollars lag. Auf manchen waren Muster und Formen zu erkennen, während andere abgewetzt und glatt wie Murmeln waren, doch alle wiesen die schmutzige gelblich-braune Farbe auf, wie sie auch die Messingbeschläge dieses Kastens besaßen. Sie rochen etwas feucht, obwohl sie ziemlich trocken
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