Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns
Autoren: Peter S. Beagle
Vom Netzwerk:
waren. Sie rochen nach Erde.
    »Drachmen«, sagte John Papas, »Guineen, Kronen, Sovereigns, Half Eagles. Hier sind Dukaten, Dublonen, wie in den Piratenbüchern sind hier sogar moidores. Für das Horn, alles für dich.« Seine Lippen waren schmal und blaß, er bleckte ein bißchen die Zähne.
    Als er merkte, daß Joey ihn ansah, sagte er schroff: »Nicht meine, Josephine Rivera. Von meinem Vater. Zum Teil noch von seinem Vater. Wir sind Griechen. Grieche zu sein heißt, nie zu wissen, ob man nicht schnell mal verschwinden muß. Einen Paß kaufen, ein Visum, einen Kapitän bestechen, einen Polizisten, einen Zöllner. Keiner hilft dir, niemals, nie, nur Gold. Nur Gold.« Heftig schüttelte er den Kasten, und die Münzen klimperten schwerfällig.
    Indigo nahm ein paar Münzen und drehte sie auf seiner Hand, schob sie hierhin und dorthin. John Papas sagte: »Mein Vater, er hat sie mir gegeben, als er starb. Bis jetzt habe ich noch keine davon verkauft. Keine einzige, als Grieche brauche ich sie vielleicht noch. Jetzt, für dieses Horn … alle. Nimm sie, Junge!«
    Abrupt hielt er Indigo den Kasten vors Gesicht.
    Der Junge betrachtete die Münzen mit beiläufigem Interesse, doch es schien Joey, als sänke die frühere Furcht erneut unergründlich tief in diese dunkelblauen Augen. Er sah Joey direkt an, als er eine ganze Handvoll Münzen nahm und seine Stirn in Falten legte.
    »Nimm«, wiederholte John Papas voller Ungeduld. »Mach schon, sie sind alle echt. Beim Händler bekommst du einen guten Preis dafür, besser noch, du gehst zu einem Sammler. Hier.« Hart stieß er dem Jungen den Kasten in die Hände und griff nach dem silberblauen Horn.
    »Nein«, sagte Indigo abrupt. »Nein, das ist nicht genug.« Plötzlich drehte er sich um und legte das Horn in Joeys Hände. Ihre Finger berührten sich nur kurz, und Joey fühlte einen sanften, heißen Schauer, der sie erbeben ließ. Indigo sagte: »Spiel. Zeig ihm, warum es nicht genug ist.«
    Das Horn roch nach fernen Blumen. Sobald es Joeys Lippen berührte, war sie eins mit ihm, fühlten und spielten sie die Musik gemeinsam, wurde es sofort ein Teil von ihr. Sie war sich dessen nicht einmal bewußt, daß sie hineinblies oder versuchte, eine Melodie zu formen… die Musik war einfach da und war schon immer da gewesen, tanzte durch sie hindurch. Und es war noch etwas anderes da, etwas, das überall um sie herum war, sie willkommen hieß und ihr Angst machte, etwas, das sie augenblicklich sehen würde, sobald sie die Augen aufschlug. Doch waren sie geschlossen, seit sie zu spielen begonnen hatte, und auch jetzt hielt sie sie geschlossen, denn etwas in ihr war von blinder Angst getrieben.
Aus weiter Ferne sagte Indigos Stimme: »Schluß jetzt.« Hinterher fragte sich Joey oft, ob sie hätte aufhören können zu spielen – oder gespielt zu werden –, wenn er nichts gesagt hätte. Mit zitternden Händen legte sie das Horn auf die Ladentheke und schlug die Augen auf. John Papas starrte sie mit einem Blick an, in dem sich Entsetzen und grenzenlose Freude mischten, und der seltsame Junge lächelte und nahm das silberblaue Horn an sich.
    »Ich heiße Indigo«, sagte er. »Vergiß mich nicht, John Papas. Vielleicht komme ich wieder einmal her.«
    Mit diesen Worten war er so spurlos verschwunden, wie er zuvor einfach dagewesen war, als Joey sich nach dem Saugen der Hintertreppe umgedreht hatte. Ganz langsam öffnete sie die Ladentür und blinzelte in die ihr wohlbekannte Welt hinaus, doch war nirgendwo etwas von ihm zu sehen. Hinter ihr sagte John Papas sanft: »Schließ die Tür. Schließ die Tür, Josephine.«
    Joey schloß die Tür und lehnte sich dagegen. John Papas stand hinter dem Ladentisch und wischte sich die Stirn. Langsam sah er wieder aus wie er selbst, nicht mehr so verändert wie seit dem Moment, als Indigo den Laden betreten hatte, aber er wirkte auch älter, dachte Joey, und schrecklich müde. Ziellos bewegte sich seine Hand durch die alten Münzen im Kasten, ohne daß er sie dabei ansah.
    »Kannten Sie ihn von irgendwoher?« fragte Joey. Rasch sah John Papas auf. »Wen, ihn? Meinst du, ich habe mit Leuten zu tun, die Indigo, Schwefelgelb oder so ähnlich heißen? Meinst du, in meiner Bekanntschaft kommen solche Jungen vor? Vergiß es. Hab’ ihn nie im Leben gesehen.« Er war viel zu wütend. Es paßte nicht zu ihm. Joey sagte: »Na, es sah so aus. Und Sie haben so ausgesehen, als würden Sie auch die Musik kennen.« Sie fühlte sich erschöpft und gereizt und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher