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Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns
Autoren: Peter S. Beagle
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Schon Vorjahren.«
    »Las Perlas gibt es«, antwortete Abuelita leise. »Las Perlas lebt.«
    »Ich will da nicht hingehen«, sagte Scott. »Unser Trainer lädt die ganze Mannschah ins Disneyland ein, wenn wir es in die Endrunde schaffen.«
    Joey saß zusammen mit Abuelita auf dem Rücksitz, als Mr. Rivera sie zurück nach Silver Pines brachte. Sie hielten sich an der Hand. Joey sagte: »Weißt du was, ich habe diesen Sommer nichts Besonderes vor. Wenn du möchtest, gehe ich mit dir nach Las Perlas.«
    Abuelita schüttelte den Kopf. »Ich denke zur Zeit viel zu oft an Las Perlas, Fina. Das ist nicht gut für eine alte Frau. Wir vergessen das Thema jetzt einfach.«
    Joey drückte ihre Hand. »Okay, wir nehmen jetzt einfach wie früher die Straße nach China, erinnerst du dich? Als ich noch klein war, im alten Haus? Im Hinterhof sitzen und graben. Das könnten wir doch auch machen.«
    Abuelita hatte ein ganz bestimmtes Lächeln im Gesicht, das in Joey eine Vorstellung von dem frechen, schwarzäugigen kleinen Mädchen wachrief, das sie einmal gewesen sein mußte, als sie in einer schlammigen Straße einer Ziege hinterhergerannt war. »Ay, dieser magische Hinterhof. Von dort aus sind wir nach Oaxaca gefahren, weißt du noch? Und nach Indien. Ich erinner’ mich dran, Fina.«
    »Nicht der Hinterhof war magisch«, sagte Joey. »Du warst es. Und du bist es immer noch.«
    In der geschotterten Einfahrt von Silver Pines umarmte sie Abuelita zum Abschied. »Wir sehen uns am Sonntag, gleiche Zeit wie immer. Soll ich dir irgendwas mitbringen?«
    »Bitte bring mir ein Lied mit«, bat Abuelita. »Eins von den Liedern, die du dir ausdenkst, das würde mir gefallen. Du kannst es mir dann vorsingen, während wir Spazierengehen.«
    »Abgemacht«, sagte Joey. Rasch stieg sie wieder ins Auto, denn sie haßte es, wenn Abuelita mühsam den Hof entlangging, immer kleiner wurde und schließlich im grellen Schein des beleuchteten Brunnens verschwand. »Immer, wenn wir sie hier absetzen, denke ich: Stell dir vor, das wäre das letzte Mal! Ich kann nichts machen, ich denke das jedes Mal.«
    »Mama ist zäh. Die wird uns alle überleben, glaub mir«, antwortete Mr. Rivera. Den Rest des Heimwegs sprach er Notizen in sein Diktiergerät, und Joey lehnte sich gegen die Tür und dachte darüber nach, ob sie sich mit Abuelita nach China oder Indien durchgraben sollte.
    An diesem Abend konnte sie nur schlecht einschlafen, bis sie schließlich in einen unruhigen Halbschlaf fiel, aus dem sie nach wenigen Stunden wieder hochschreckte. Das Haus war dunkel und ruhig, nur der Geschirrspüler brummte noch. Sie schlich sich hinunter in die Küche, um sich ein Glas Schokoladenmilch zu holen, machte es sich dann mit einem Liebesroman ihrer Mutter auf dem Bett gemütlich und wartete geduldig darauf, wieder einzuschlafen.
    Es war schon weit nach Mitternacht, und sie war immer noch hellwach. Gerade überlegte sie, ob es ihr gelingen würde, heimlich fernzusehen, wenn sie sich vor dem Gerät auf den Boden legte und es ganz, ganz leise stellte, da hörte sie die Musik, so nah, daß sie, bis sie diese wiedererkannte, dachte, der blöde Scott wäre schon wieder bei laufendem Radio eingeschlafen. Aber sie kam von draußen, gleich von dort vorn, lockte von der Straße her, und Joey hatte schon zwei Schlösser und einen Riegel geöffnet, bevor sie merkte, daß die Musik verklungen war. Sie hörte, wie sie selbst vor Enttäuschung aufschrie, doch niemand wachte auf.
    Sie ging hinaus, stellte sich auf die oberste Stufe und lauschte. Nichts war zu hören, außer dem schluckaufähnlichen Zischen der Rasensprenger und dem Murmeln der Autobahn in der Ferne. Dann hörte sie es wieder: leiser, nicht ganz so deutlich, aber ganz sicher auch nicht weit entfernt. Wenn sie doch nur die genaue Richtung ausmachen könnte! Dort hinter dem künstlich angelegten See, hinter Scotts Grundschule, gleich hinter dem Haus der freiwilligen Feuerwehr, genau da mußte es sein. Sie rannte ins Haus zurück, vertauschte ihren Schlafanzug mit Jeans und einem »Northern Exposure«-T-Shirt in Übergröße, schnappte ihre Wanderstiefel – zog sie erst an, als sie wieder draußen war – und lief die Straße hinunter, folgte der Musik.
    Die lockte sie, neckte sie, wie sie es früher oft mit Tante Isabels Katze getan hatte, mit einem Ball aus zerknülltem Papier, der an einem Faden baumelte, immer knapp außer Reichweite. Das bebende Singen von Indigos Horn – was konnte es sonst sein?– lockte sie durch
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