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Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns
Autoren: Peter S. Beagle
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sich fürchtete.
    »Weil es das ist, was du willst«, sagte sie. »Weil du meine Welt erheblich besser kennst, als ich eure je kennen werde, und du weißt, wie sie ist, und trotzdem möchtest du dort leben, gerade weil sie so ist. Ich glaube, du fürchtest dich vor ihr, und deshalb willst du immer wieder Mr. Papas dein Horn verkaufen und getraust dich dann doch nicht. Und du solltest dich auch fürchten, weil die Welt, in der ich lebe, wirklich, wirklich zum Fürchten ist. Aber deshalb willst du ja da sein, weil es nicht Shei’rah ist. Und ich glaube nicht, daß dir das Gold je wichtig war, nicht wirklich. Das Gold ist nur eine Ausrede, damit du dich nicht rühren mußt. Das mache ich andauernd.«
    Doch ihre Stimme tönte in ihren eigenen Ohren so dünn und vertrocknet wie Heuschreckengesang im Winter, und ihre Argumente hörten sich ungefähr so jämmerlich an wie die Ausreden ihres Bruders Scott, wenn er den Müll nicht hinausgetragen hatte. Langsam verstummte sie, versiegten die Worte, verschwanden vor Indigos merkwürdig geduldigen Augen. Unvermittelt sagte sie: »Nein. Nein, vergiß es. Hör mir nicht zu, hör nicht zu, es tut mir leid, es ist alles falsch. Es tut mir wirklich leid.«
    Nun war alles gesagt, und sie wollte gehen, doch Indigos Hand hielt sie an der Schulter fest. »Warte«, sagte er. »Was ist denn jetzt los? Nach dem ganzen Gerede, nach all dem Theater, soll ich dir jetzt plötzlich nicht mehr zuhören?« Er hob zwar seine Stimme nicht, aber sein fester Griff erinnerte Joey daran, wie die Criyaqui sie in ihren Baum hinaufgezerrt hatten.
    Sie drehte sich, um ihn anzuschauen. Seine dunklen, blauen Augen sahen nun wieder so arrogant und fragend drein wie am Tag ihrer allerersten Begegnung, und sein Profil provozierte sie wie eh und je. Aber er war ihr so hingebungsvoll zugewandt wie noch nie, dachte sie. Sie zuckte mit den Schultern und sagte: »Du hast recht, ganz einfach. Also ich würde das Geschäft noch nicht mal für eine Wagenladung Gold machen, wie kann ich dann dich darum bitten? Vergiß es, wie gesagt, okay? Meine Abuelita ist schlau, ihr wird schon noch was anderes einfallen. Mach dir keine Sorgen.«
    Sie wendete sich wieder ab, und von neuem drehte Indigo sie zu sich um. Er behielt seinen geschäftsmäßig kühlen Ton bei und sagte: »Ich könnte die Grenze jetzt überschreiten, nackt und mit leeren Händen, und ich würde es in deinem Woodmont oder sonstwo schaffen. Ohne daß ich die dämliche Hilfe von dir oder deinem Papas brauche. Das weißt du genau.«
»O Gott, ich hatte vergessen, wie widerspenstig du bist«, sagte Joey müde, »jetzt wirst du’s doch tun, nur weil ich dir das Gegenteil geraten habe. Weißt du was, Indigo? Geh doch zum Teufel. Mach, was du willst, ich jedenfalls muß zurück zu Abuelita. Schick mir ‘ne Postkarte, okay?«
    Sie war schon mitten im tiefsten Abendrotwald, legte sich immer noch ihre Entschuldigung für Abuelita zurecht – ich hab’s vermasselt, ich hab’ das ganze Ding vermasselt, es ist mein Fehler, er hat mich so geärgert – , als Indigo sie schließlich einholte. Joey blieb stehen und wartete schweigend, während er sie anstarrte, als hätte er sie nie zuvor gesehen. Sie erwiderte seinen finsteren Blick, und irgendwo tief in ihr drin machte sie etwas darauf aufmerksam, daß sie sich schon lange nicht mehr vor ihm gefürchtet hatte, und sie spürte fast so etwas wie Bedauern.
    Indigo seufzte. »All die kleinen Musikläden«, sagte er. »All die kleinen Musikläden in eurer glänzenden, schrecklichen Welt, und ich muß ausgerechnet in den mit Josephine Rivera reingehen. Oh, warum wurdest du nicht in Shei’rah geboren, Josephine Rivera? Es hätte uns beiden viel Kummer erspart.«
    John Papas nahm das Horn fast zögerlich entgegen, fragte Indigo: »Bist du sicher? Hör mal«, mit einem Nicken in Joeys Richtung, »sie erzählt mir von diesem Ding, was es bedeutet, also weiß ich ein klein bißchen darüber. Bist du sicher, daß du es tun willst?«
    »Oh, ich wollte es schon immer«, erwiderte Indigo sanft. »Ich bin mir sicher– vielleicht nicht ganz – oder muß vielmehr so tun als ob. Ist das nicht die erste Lektion, die man in eurer Welt lernt?« Er schob das silberblaue Horn in John Papas’ Hände. »Aber es wird Sie eine Menge kosten, wie ich Ihnen ja schon mal gesagt habe.«
    Langsam hob John Papas das Horn an, als wäre es weit schwerer, als Joey gedacht hätte. »Nicht soviel, wie es dich kostet. Das weiß ich auch.« Er sah zwischen
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