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Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns
Autoren: Peter S. Beagle
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wenn ich es mache, ich weiß nicht, wieso. Mir geht es gut, keine Sorge. Yaradai, schüttel deinen Kopf nicht so, ich weiß, es brennt ein bißchen, laß es in Ruhe.«
    Das Ganze dauerte zwei Tage und eine Nacht. Der Lord Sinti kam als letzter, und als er seinen hohen schwarzen Kopf in Abuelitas verschmierte, müde Hände legte, nickte sie ein, doch rieb sie ihm die Salbe dennoch in die Augen. Danach schlief sie mehr oder weniger zwei Tage lang durch, so daß sie die allerersten der Ältesten versäumte, die kamen, um ihr zu danken. Deren Augenlicht war nach wie vor trübe und unzuverlässig, flackerte noch immer an und aus, doch konnten sie tatsächlich sehen, nicht nur die Schatten, mit denen sie sich so lange hatten begnügen müssen; und selbst die Würdevollsten unter ihnen starrten die Welt und sich selbst mit den Augen gummibeiniger Fohlen an. Wie Joey an ihrem ersten Morgen in Shei’rah erwachte auch Abuelita umgeben von Einhörnern, und obwohl man sie wortlos ansah, setzte sie sich augenblicklich auf und sagte: »Es hat gewirkt, was? Ein Hoch auf Las Perlas!« Ohne Umschweife schlief sie wieder ein, doch die Altesten warteten geduldig, rührten sich nicht, bis sie zum zweiten Mal erwachte.
∗ Elftes Kapitel ∗
    Wie sie sich hätte denken können, war es Ko, der an jenem Abend zu ihnen kam, als die Grenze sich schließlich verschob. Joey wachte von seinem Geruch auf, ranzig und beruhigend wie eh und je, und setzte sich eilig auf, wollte Abuelita von
    ihrem Blätterbett hochscheuchen. Doch Abuelita war bereits auf den Beinen, spähte in der Dunkelheit nach dem Baumstamm, in dem die Shendi gewesen waren, als sie sich hingelegt hatten. Die Luft auf Joeys Haut fühlte sich heiß und knisternd an. Ein bitterer, stürmischer Geschmack lag darin. Ko sagte: »Es wird Zeit zu gehen, Tochter. Mein Bart weiß es.«
    Joey legte die Arme um ihn. Sie sagte: »Ich werde dich niemals wiedersehen. Nie mehr.«
    »Ich habe an meinem hundertsten Geburtstag aufgehört, niemals zu sagen«, antwortete der Satyr. »Shei’rah wird nicht verschwinden, ebensowenig wie der Mond, und außerdem wird die Grenze für dich und deine Großmutter sicher nicht geschlossen. Du wirst sie wiederfinden, irgendwo in eurer Welt… vielleicht schon eher, als du denkst. Wir werden warten.« Sanft drückte er Joey an seine übelriechende Brust.
    Abuelita sagte: »Fina, sie sind fort. Diese Drachendinger.«
    Joey und Ko fuhren gemeinsam herum und rannten zu dem Baumstamm. Dort war von den Shendi keine Spur mehr zu sehen. Selbst ihr seltsamer Kupfergeruch schien sich verflüchtigt zu haben. Da packte die Panik Joey bei der Kehle. »Die Grenze! Ich weiß nicht, wo die Grenze ist! Ko, was soll ich tun, was mach’ ich jetzt?« Der Halbmond war hinter den Bäumen kaum zu sehen.
    »Ruhig«, sagte Ko, wandte sich hilflos hierhin und dorthin. »Tochter, bleib ruhig.« Abuelita setzte sich unter einen Baum und begann, sich in aller Seelenruhe das Haar zu kämmen.
    Joey packte Ko bei den Schultern und schüttelte ihn vor Entsetzen heftig. »Ko, wir werden auf der anderen Seite der Welt gefangen sein! Wie soll ich Abuelita jemals nach Hause bekommen? Ko, bitte, ich muß sie nach Hause bringen!«
    Leise sagte Abuelita: »Nein, das mußt du nicht, Fina.« Joey und der Satyr wandten sich zu ihr, die dort im Dunkeln lächelnd unter dem Baum saß, um und starrten sie an. »Fina, ich habe beschlossen, daß ich nicht mitkomme.«
    Joey sagte: »Was?« Kos gelbe Schlitzaugen rundeten sich vor Staunen. Joey flüsterte: »Abuelita, was redest du? Wir müssen nach Hause.«
    »Du mußt, ja«, gab ihre Großmutter gelassen zurück. »Du hast deine Familie, deine Schule fängt an, dein ganzes Leben, alles wartet da drüben auf dich. Und Indigo, du mußt Indigo suchen. Aber mich erwartet nichts, nur Silver Pines und der Tod. Nein, es gefällt mir hier viel besser.«
    Während Joey sie anglotzte, folgte einem bedrohlichen Knacken in den Büschen augenblicklich Touriqs triumphierender Aufschrei. »Oh, da bist du!« Das Einhornfohlen kam in die kleine Schlucht galoppiert und lief direkt auf Joey zu, stieß sie mit seinem Horn, als es sich fest in seinen Lieblingsplatz unter ihren Arm schmiegte. »Wieso bist du hier?« wollte Touriq wissen. »Die Shendi schlafen alle oben beim Dreimondteich, in dem die Karkadanns baden. Was machst du hier unten?«
    Die folgenden Augenblicke blieben in Joeys Gedächtnis stets verschwommen. Sie erinnerte sich daran, daß sie in den Blättern nach
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