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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song
Autoren: Antje Babendererde
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1. Kapitel
    Weiße Nebelfetzen hingen in den zerklüfteten Felsen vor der Steilküste von Cape Flattery und ein leichter Wind trieb die Wellen des Pazifiks sanft gegen das steinige Ufer am Kap. Die Sonne, ein milchiger Fleck am grauen Himmel, kämpfte gegen die Feuchtigkeit und Kühle der Nacht.
    Hanna stand auf einer Aussichtsplattform aus Zedernplanken, die von dicken Rundhölzern begrenzt wurde. Der harzige Duft des frischen Holzes mischte sich mit der Salzluft des Meeres. Offensichtlich war die Plattform gebaut worden, damit sich neugierige Touristen nicht zu nah an die steil abfallende Felskante wagten, aber ein Trampelpfad hinter dem Geländer zeugte davon, dass sich die Neugierigen und Wagemutigen nach wie vor nicht abhalten ließen.
    Hanna stützte sich auf die Brüstung und ihr Blick wanderte hinüber nach Tatoosh Island, einer kleinen, grasbewachsenen Felseninsel mit einem Leuchthaus aus Stein, als sie plötzlich in ihrem Rücken eine schattenhafte Bewegung wahrnahm. Sie drehte sich um, aber da war – niemand. Nur Büsche und ein paar verkrüppelte Kiefern, hinter dem Morgennebel der Wald. Sie war allein am Kap. Es war sechs Uhr morgens, für Touristen noch viel zu früh. Dennoch empfand Hanna so etwas wie Anwesenheit, ein unerklärbares Gefühl, das ihr Herz schneller schlagen ließ.
    Schließlich schrieb sie die seltsame Wahrnehmung ihrer Müdigkeit zu. Die ungeheure Erwartung, die Hanna mit ihrer Rückkehr nach Neah Bay verband, hatte sie bis jetzt wach gehalten. Doch nun forderten der siebzehnstündige Flug und die anschließende Autofahrt durch die Nacht ihren Tribut.
    Hanna wandte sich wieder dem Meer zu und betrachtete die Klippen von Tatoosh Island. Auf der kleinen Insel hatte sich nichts verändert, seit Jim Kachook sie hierhergeführt und ihr die Schönheit des Kaps gezeigt hatte. Es war ein strahlend blauer Maitag gewesen, der Duft des feuchten Waldes schwer und der Blick von der Steilküste eine Offenbarung.
    Von drei Seiten das Meer.
    Hanna erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. Dabei waren inzwischen fünf Jahre vergangen. Ihr ganzes Leben hatte sich verändert, doch hier, im kleinen Reservat der Makah-Indianer, schien die Zeit stehen geblieben zu sein.
    Ein Auftrag des Völkerkundemuseums, für das Hanna als Restauratorin arbeitete, hatte sie vor fünf Jahren auf die Olympic-Halbinsel im Bundesstaat Washington geführt. Die Nordwestküstenstämme waren berühmt für ihre kunstvoll geschnitzten Masken und Wappenpfähle und das Museum plante damals eine Ausstellung über diese Region. Hanna sprach gut englisch und aufgrund zweier vorangegangener Kurierreisen ins Burke Museum in Seattle kannte sie die richtigen Ansprechpartner. Sie sollte einen indianischen Schnitzkünstler ausfindig machen, der bereit war, für drei Monate nach Deutschland zu kommen und auf dem Museumsgelände einen Pfahl zu beschnitzen. Das Entstehen des Wappenpfahls sollte die Attraktion der Ausstellung sein und Besucher aus allen Teilen des Landes anlocken.
    Mit einer Liste von Namen, die man ihr im Burke Museum zusammengestellt hatte, machte Hanna sich auf den Weg, musste jedoch schon bald feststellen, dass sie mit ihrem Anliegen auf wenig Gegenliebe stieß. Keiner der Künstler, die sie auf der Olympic-Halbinsel aufsuchte, wollte sein Land und seine Familie für so lange Zeit verlassen. Schon fast am Ende ihrer Reise, verschlug es Hanna nach Neah Bay. Im kleinen Reservat der Makah-Indianer stieß sie auf Jim Kachook, einen jungen Holzschnitzer, der sich spontan bereit erklärte, den Auftrag des Völkerkundemuseums anzunehmen.
    Kachook hätte seine Abreise in Ruhe vorbereiten und Hanna eine Woche später nach Deutschland folgen können, aber der Holzschnitzer wollte sofort mit ihr kommen. Einen Nachmittag lang hatte Jim sie in Neah Bay herumgeführt und unter anderem auch hierhergebracht, an diesen magischen Ort. Beinahe knöcheltief waren sie in schwarzem Schlamm versunken, um den nordwestlichsten Punkt des amerikanischen Hauptlandes zu erreichen.
    Hanna hatte eine Nacht im heruntergewirtschafteten Clamshell Motel verbracht und am nächsten Morgen waren sie zusammen nach Seattle zum Flughafen gefahren
    Ihr Herz zog sich zusammen. Ich bin wieder hier.
    Dieses Mal hatte sie sich mit wasserabweisenden Schuhen und alten Jeans für die sumpfigen Abschnitte des rund einen Kilometer langen Wanderpfades gerüstet, war jedoch von einem stabilen Steg aus Zedernholzplanken überrascht worden.
    Hatten die Makah
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