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Feuertaufe

Feuertaufe

Titel: Feuertaufe
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Das erste Kapitel
    Im Gebüsch rumorten Vögel. Die Hänge der Schlucht waren mit dichtem Gestrüpp von Brombeeren und Berberitzen überwuchert, ein traumhafter Ort zum Brüten und zum Fressen; es war also kein Wunder, dass es dort von Vögeln wimmelte. Hingebungsvoll trillerten Grünfinken, zwitscherten Hänflinge und Grasmücken, alle paar Augenblicke ertönte auch das kräftige »pink-pink« eines Buchfinks. Der Fink kündigt Regen an, dachte Milva und schaute instinktiv zum Himmel. Es waren keine Wolken zu sehen. Aber Finken kündigen immer Regen an. Ein wenig Regen würde nicht schaden.
    Die Stelle gegenüber vom Ausgang aus dem Talkessel war ein guter Standort und versprach eine gute Jagd, insbesondere hier im Brokilon mit seiner überreichen Tierwelt. Die Dryaden, die über das ausgedehnte Waldgebiet herrschten, jagten ungemein selten, und ein Mensch wagte sich noch seltener hierher. Ein Jäger, den es nach Fleisch oder Pelzen gelüstete, wurde hier selbst zur Jagdbeute. Die Dryaden vom Brokilon hatten mit Eindringlingen kein Erbarmen. Milva hatte das einst am eigenen Leibe erfahren.
    An Tieren mangelte es im Brokilon jedenfalls nicht. Milva saß nun aber schon seit über zwei Stunden im Hinterhalt und war immer noch nicht zum Schuss gekommen. Aus der Bewegung jagen konnte sie nicht - die seit Monaten herrschende Trockenheit hatte den Boden mit dürren Zweigen und Blättern bedeckt, die bei jedem Schritt knackten. Unter solchen Bedingungen versprach nur regloses Verharren im Hinterhalt Erfolg und Beute.
    Auf einem Bogenhorn ließ sich ein Admiral-Schmetterling nieder. Milva zerquetschte ihn nicht. Während sie zusah, wie er die Flügelchen auf- und zuklappte, betrachtete sie zugleich den Bogen, eine Neuerwerbung, über die sie sich immer noch freute. Sie war eine passionierte Bogenschützin und liebte eine gute Waffe. Und die, die sie in der Hand hielt, war die allerbeste.
    Milva hatte in ihrem Leben viele Bögen besessen. Schießen gelernt hatte sie mit gewöhnlichen aus Eschen- und Eibenholz, sie aber bald zugunsten der Kompositbögen aufgegeben, wie die Dryaden und Elfen sie benutzten. Die Elfenbögen waren kürzer, leichter und handlicher und dank der Zusammensetzung aus Schichten von Holz und Tiersehnen auch viel »schneller« als Eibenbögen - ein damit abgeschossener Pfeil erreichte das Ziel in viel kürzerer Zeit und auf einer viel flacheren Flugbahn, was die Gefahr einer Ablenkung durch den Wind erheblich verringerte. Die besten Exemplare solch einer Waffe mit vierfacher Krümmung hießen bei den Elfen zefhar, weil die Bogenhörner und die Wurf arme die Form der gleichnamigen Rune bildeten. Milva hatte eine ganze Reihe von Jahren lang Sefars benutzt und nicht geglaubt, dass es einen Bogen geben könnte, der sie übertraf.
    Doch schließlich war ihr solch ein Bogen untergekommen. Natürlich war das auf dem Seebasar in Cidaris geschehen, der für sein reiches Angebot an wundersamen und seltenen Waren berühmt war, die Seeleute aus den fernsten Weltgegenden mitbrachten, von überall, woher Koggen und Galeonen eintrafen. Wann immer sie konnte, besuchte Milva den Basar und schaute sich die überseeischen Bögen an. Dort hatte sie auch den Bogen erworben, von dem sie glaubte, er würde ihr viele Jahre lang dienen - einen Sefar aus Serrikanien, verstärkt durch geschliffenes Antilopenhorn. Diesen Bogen hielt sie für vollkommen. Ein Jahr lang. Denn im Jahr darauf erblickte sie an demselben Stand, bei demselben Händler ein wahres Wunder.
    Der Bogen kam aus dem fernen Norden. Er hatte eine Länge von zweiundsechzig Zoll, ein perfekt ausgewogenes Griffstück aus Mahagoni und flache, laminierte Arme, zusammengeleimt aus miteinander verschlungenen Schichten von Edelholz, gekochten Sehnen und Walbein. Von den anderen, neben ihm liegenden Bögen unterschied er sich nicht nur in der Konstruktion, sondern auch im Preis - und gerade der Preis hatte Milvas Aufmerksamkeit erregt. Als sie jedoch den Bogen in die Hand genommen und erprobt hatte, bezahlte sie ohne zu zögern und zu feilschen so viel, wie der Händler verlangte. Vierhundert Nowigrader Kronen. Natürlich hatte sie eine derart schwindelerregende Summe nicht bei sich - sie opferte für das Geschäft ihren serrikanischen Sefar, ein Bündel Zobelpelze und ein wunderschön gearbeitetes kleines Elfenmedaillon, eine Kamee aus Koralle mit einem Kranz von Flussperlen.
    Doch sie hatte es nicht bereut. Niemals. Der Bogen war unglaublich leicht und geradezu ideal
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