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Feuertaufe

Feuertaufe

Titel: Feuertaufe
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Hilfe. Es ist ja auf deinen Befehl, dass ich ihnen helfe.«
    »Auf meine Bitte.«
    »In der Tat. Auf deine Bitte.«
    »Ich habe noch eine.«
    »Das dacht ich mir. Der Hexer?« »Hilf ihm.«
    Milva blieb stehen und drehte sich um, brach mit einer heftigen Bewegung einen Geißblattzweig ab, der sich in ihrer Kleidung verhakt hatte, drehte ihn zwischen den Fingern, warf ihn zu Boden.
    »Seit einem halben Jahr«, sagte sie leise und schaute der Dryade in die silbernen Augen, »riskier ich meinen Kopf, führ Elfen aus zerschlagenen Kommandos in den Brokilon... Wenn sie sich ausgeruht und ihre Wunden kuriert haben, führ ich sie wieder hinaus ... Reicht das nicht? Hab ich nicht genug getan? Bei jedem Neumond mach ich mich in finsterster Nacht auf den Weg ... Ich fürcht schon die Sonne wie eine Fledermaus oder irgendein Uhu ...«
    »Niemand kennt die Waldwege besser als du.«
    »Im Dickicht werd ich nichts erfahren. Der Hexer will ja, dass ich Nachrichten sammle, unter Menschen geh. Er ist ein Aufständischer, die Aan'brengar horchen auf, wenn sie seinen Namen hören. Ich selber sollt mich auch nicht in Städten blicken lassen. Wenn mich nun jemand erkennt? Die Erinnerung an jene Sache ist noch lebendig, das Blut von damals ist noch nicht getrocknet... Denn es war viel Blut, Frau Eithne.«
    »Nicht wenig.« Die silbernen Augen der alten Dryade waren fremd, kalt, undurchdringlich. »Nicht wenig, fürwahr.«
    »Wenn sie mich erkennen, setzen sie mich auf den Pfahl.«
    »Du bist vernünftig. Du bist vorsichtig und wachsam.«
    »Um die Nachrichten, um die der Hexer bittet, zu sammeln, muss ich die Vorsicht außer Acht lassen. Ich muss fragen. Und heutzutage ist es gefährlich, Neugier zu zeigen. Wenn sie mich fassen...«
    »Du hast Beziehungen.«
    »... foltern sie mich zu Tode. Sie richten mich hin. Oder lassen mich in Drakenborg verfaulen...« »Aber mir schuldest du etwas.«
    Milva wandte sich um, biss sich auf die Lippen. »Ja«, sagte sie bitter. »Ich werd es nicht vergessen.«
    Sie schloss die Augen, ihr Gesicht verzerrte sich plötzlich, die Lippen zitterten, die Zähne pressten sich fest aufeinander. Unter den Lidern glomm blass die Erinnerung auf, im gespenstischen Mondlicht jener Nacht. Plötzlich kehrte der Schmerz in dem Fußknöchel zurück, den die Riemenschlinge der Falle erfasst hatte, der Schmerz im von dem Ruck ausgerenkten Gelenk. In den Ohren rauschte das Laub des plötzlich hochschnellenden Baumes ... Ein Schrei, ein Stöhnen, wildes, wahnsinniges, entsetztes Zappeln und das abscheuliche Gefühl der Angst, die sie überschwemmte, als ihr klar wurde, dass sie nicht mehr freikommen würde ... Der Schrei und die Angst, das Knirschen des Seils, die wogenden Schatten, der schwankende, unnatürlich umgekehrte Erdboden, die Bäume mit den umgekehrten Wipfeln, das in den Schläfen hämmernde Blut... Und im Morgengrauen die Dryaden, ringsumher, im Kreis ... Das ferne silbrige Lachen... Ein Püppchen an der Schnur! Zapple nur, zapple, Püppchen, mit dem Köpfchen nach unten... Und ihr eigener, doch fremder, durchdringender Schrei. Und dann Dunkelheit.
    »Fürwahr, ich schulde dir was«, presste sie abermals zwischen den Zähnen hervor. »Fürwahr, denn ich bin ja eine Gehängte, die man vom Galgen geschnitten hat. Solang ich leb, seh ich, werd ich diese Schuld nicht begleichen können.«
    »Jeder hat irgendeine Schuld abzutragen«, sagte Eithné. »So ist das Leben, Maria Barring. Schulden und Forderungen, Verpflichtungen, Dankbarkeit, Vergeltung ... Etwas für jemanden tun. Oder vielleicht für sich selbst? Denn so ist es in Wahrheit, dass wir immer uns selbst zahlen, nicht irgendwem. Jede aufgenommene Schuld zahlen wir bei uns selbst ab. In jedem von uns stecken Gläubiger und Schuldner zugleich. Es geht darum, dass diese Rechnung in uns aufgeht. Wir kommen zur Welt als ein kleiner Teil von dem uns gegebenen Leben, dann machen und zahlen wir immerzu Schulden. An uns. Für uns. Damit am Ende die Rechnung aufgeht.«
    »Steht dir dieser Mensch nahe, Frau Eithné? Dieser... Hexer?«
    »Ja. Obwohl er es selbst nicht weiß. Geh zurück nach Col Serrai, Maria Barring. Geh zu ihm. Und tu, worum er dich bitten wird.«
     
    In dem Talkessel raschelte das Reisig auf dem Boden, ein Zweig knackte. Es ertönte das laute und zornige »tschöktschök« einer Elster, die Finken flogen auf, dass die weißen Steuerfedern blitzten. Milva hielt den Atem an. Endlich.
    Tschök-tschök, rief die Elster. Tschök-tschök-tschök. Wieder
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