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Feuertaufe

Feuertaufe

Titel: Feuertaufe
Autoren: Andrzej Sapkowski
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zielsicher. Obwohl er nicht allzu lang war, steckte in den Kompositarmen eine tüchtige Wucht. Mit einer aus Seide und Hanf gedrehten Sehne versehen, die in den exakt gekrümmten Hörnern eingehängt war, brachte er es bei einer Spannung um vierundzwanzig Zoll auf fünfundfünfzig Pfund Schusskraft. Es gab freilich Bögen, die sogar achtzig lieferten, aber das hielt Milva für übertrieben. Ein mit ihrem Fünfundfünfziger aus Walbein verschossener Pfeil legte eine Entfernung von zweihundert Schritt in der Zeit zwischen zwei Herzschlägen zurück, und auf hundert Schritt reichte die Durchschlagskraft, um einen Hirsch zu erlegen; durch einen Menschen indes, der keine Rüstung trug, ging der Pfeil glatt hindurch. Auf Tiere, die größer waren als ein Hirsch, oder auf Menschen in schwerer Rüstung machte Milva selten Jagd.
    Der Schmetterling flog fort. Die Finken rumorten noch immer im Gebüsch. Und noch immer war ihr nichts vor den Bogen gekommen. Milva lehnte sich mit der Hüfte gegen einen Fichtenstamm und gab sich Erinnerungen hin. Einfach so, um die Zeit totzuschlagen.
     
    Ihre erste Begegnung mit dem Hexer hatte im Juli stattgefunden, zwei Wochen nach den Ereignissen auf der Insel Thanedd und dem Ausbruch des Krieges in Dol Angra. Milva war nach gut einem Dutzend Tagen Abwesenheit in den Brokilon zurückgekehrt, hatte die Reste eines Kommandos der Scioa'tael mitgebracht, das in Temerien zerschlagen worden war, als es versucht hatte, aufs Gebiet des vom Kriege erfassten Aedirn zu gelangen. Die Eichhörnchen wollten sich dem Aufstand der Elfen im Dol Blathanna anschließen. Es war ihnen nicht gelungen, und ohne Milva wären sie verloren gewesen. Doch sie hatten Milva und Asyl im Brokilon gefunden.
    Sofort nach ihrer Ankunft hatte man Milva wissen lassen, dass Aglai's sie in Col Serrai erwartete. Milva wunderte sich ein wenig. Aglai's stand den Heilerinnen des Brokilon vor, und der tiefe Talkessel Col Serrai mit seinen heißen Quellen und Höhlen war der Ort der Heilung.
    Sie folgte jedoch dem Ruf, überzeugt, es handele sich um einen Elf, der dort geheilt wurde und durch ihre Vermittlung Kontakt zu seinem Kommando aufnehmen wollte. Als sie aber den verwundeten Hexer erblickte und erfuhr, worum es ging, geriet sie in Raserei. Sie lief mit wehenden Haaren aus der Grotte und entlud ihre ganze Wut auf Aglai's.
    »Er hat mich gesehen! Er hat mein Gesicht gesehen! Ist dir klar, was das für mich bedeutet?«
    »Nein, es ist mir nicht klar«, erwiderte die Heilerin kalt. »Das ist Gwynbleidd, der Hexer. Ein Freund des Brokilon. Er ist seit vierzehn Tagen hier, seit Neumond. Und es wird noch einige Zeit verstreichen, ehe er aufstehen und normal gehen kann. Er verlangt nach Nachrichten aus der Welt, von den Menschen, die ihm nahestehen. Nur du kannst sie ihm beschaffen.«
    »Nachrichten aus der Welt? Du hast wohl den Verstand verloren, Scheuweib! Weißt du, was jetzt in der Welt los ist, jenseits der Grenzen deines ruhigen Waldes? In Aedirn ist Krieg! In Brugge, in Temerien und in Redanien ist Aufruhr, die Hölle, Menschenjagd! Hinter denen, die die Rebellion auf Thanedd angezettelt haben, sind alle her! Überall wimmelt es von Spitzeln und Aan'brengar, mitunter braucht man nur ein Wort zu verlieren oder an der falschen Stelle den Mund zu verziehen, und schon leuchtet einem im dunklen Verlies der Henker mit einem glühenden Eisen heim! Und ich soll auf Kundschaft gehen, Fragen stellen, Nachrichten sammeln? Meinen Kopf hinhalten? Und für wen? Für irgend 'nen halbtoten Hexer? Was ist mir der schon? Du hast wirklich den Verstand verloren, Agla'is!«
    »Wenn du vorhast zu brüllen«, fiel ihr die Dryade ruhig ins Wort, »dann lass uns weiter in den Wald gehen. Er braucht Ruhe.«
    Milva drehte sich unwillkürlich zum Eingang der Höhle um, in der sie eben erst den Verwundeten gesehen hatte. Ein ansehnliches Mannsbild, dachte sie automatisch, wenn auch mager, nichts als Sehnen ... Weiße Haare, aber der Bauch flach wie bei einem jungen, man sieht, dass er es mit der Arbeit hält, nicht mit Speck und Bier...
    »Er war auf Thanedd« - eine Feststellung, keine Frage. »Ein Aufständischer.«
    »Ich weiß nicht.« Aglai's zuckte mit den Achseln. »Er ist verwundet. Braucht Hilfe. Der Rest geht mich nichts an.«
    Milva winkte ab. Die Heilerin war dafür bekannt, dass sie nicht gern redete. Aber Milva hatte schon die aufgeregten Berichte der Dryaden vom Ostrand des Brokilon gehört, wusste schon alles über die zwei Wochen
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