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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht
Autoren: Ulrike Schweikert
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vor sich hin, die der Vater abends oft gesungen hatte. Sie fühlte den Kristall unter ihren Fingern warm pulsieren. Krísodul würde ihr helfen. In ihm steckte mächtige Magie, und jetzt, da die beiden Hälften wieder vereint waren, würde sich ihm kaum ein Wesen Phantásiens widersetzen können. Aber hatte sie auch genügend Kraft, diese Macht zu beherrschen? Zweifel nagten. Die Minuten flossen zäh dahin.
     
    Kaum hatten Céredas und Tahâma die unterirdische Halle verlassen, kam Wurgluck aus der Nische hervor, in der er sich versteckt hatte. »Mich bekommst du nicht so leicht, Jäger«, brummte er.
    Sorgsam darauf bedacht, dem Brunnenschacht nicht zu nahe zu kommen, ging er zur Tür hinüber und lauschte, bis die Schritte auf der Treppe verklangen. Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen und öffnete die Tür. Wohin sollte er gehen? Wo sich verstecken? Als Erstes musste er feststellen, wohin Céredas das Mädchen brachte. Flink lief er die Treppen hinauf und lugte um die Ecke, um zu sehen, in welchem Zimmer sie verschwanden. Verflucht!, dachte er, Céredas kehrte allein in den Gang zurück, schloss Tahâma ein und nahm den Schlüssel mit. Wie konnte sie noch immer an die guten Absichten des Jägers glauben?
    Wurgluck versteckte sich abermals, bis der Jäger im Hof unten verschwunden war, dann machte er sich auf den Weg ins Gemach des Lords. Neugierig sah er sich um. Konnte man sich hier irgendwo verbergen? Sein Blick schweifte über das Himmelbett. Prüfend rieb er den Vorhangstoff zwischen den Fingern. Er wirkte zwar auch schon einigermaßen zerschlissen, aber mit etwas Glück würde er das Gewicht eines Erdgnoms tragen.
    »Schon wieder klettern.« Wurgluck seufzte. Seine mageren Finger krallten sich in den Vorhang. Langsam zog sich der Gnom höher, bis er den Baldachin erreichte. Dort kroch er zwischen die üppigen Falten, wirbelte eine Staubwolke auf und musste niesen. Warum lasse ich mich auf solch eine Wahnsinnstat ein, fragte er sich und zog sich den Stoff über den Kopf, bis er vollständig verborgen war. Reglos lag der Gnom da und versuchte das Kitzeln in seiner Nase zu ignorieren.
     
    Tahâma begann innerlich zu frieren, noch bevor sie die Laute hörte, die sich der Burg näherten. Die Wesen des Schattenlords kehrten zurück! Sofort war sie auf den Beinen, packte den Stab und eilte zum Fenster. Noch lag der Hof still im grauen Morgenlicht. Doch die Stimmen kamen näher, und dann ertönten Schreie. Rufe mischten sich in das Heulen und Brüllen.
    Die steinernen Wächter!, durchfuhr es Tahâma. Wie dumm von ihr zu vergessen, dass sie die zerstörten Standbilder bemerken mussten. War sie trotzdem sicher in dem Quartier, das Céredas für sie ausgesucht hatte? Würden die Sklaven des Lords nun nicht jeden Winkel der Feste nach dem Eindringling durchsuchen, der es gewagt hatte, die magische Schranke zu durchbrechen? Der Lärm verebbte und machte einer unheimlichen Stille Platz. Tahâma lugte aus dem Fenster und beobachtete, wie die nächtlichen Gestalten auf den Hof fluteten, ihnen voran der Schattenlord in der Gestalt eines riesigen Mannes, seine beiden Wölfe dicht auf den Fersen. Auf der untersten Stufe vor der Tür zur großen Halle blieb er stehen und wandte den Kopf.
    Das Mädchen fuhr zurück. Hatte er sie gewittert? Sie musste aus dieser Kammer hinaus! Was hatte sich der Jäger nur dabei gedacht, sie einzuschließen? Hier war sie wie eine Maus in der Falle, die darauf warten musste, dass der Rachen der Katze sich vor ihr öffnete.
    Erst als Tahâma das Knarren der Tür zur großen Halle vernahm, wagte sie wieder hinauszusehen. Der Lord und die Wölfe waren verschwunden. Seine untoten Diener drängten hinter ihm in den Saal, während die verschiedenen anderen Wesen und ein Rudel Wölfe draußen im Hof blieben.
     
    Die schon gewohnte Kälte kündigte das Kommen des Schattenlords an. Wurgluck kratzte sich noch einmal schnell die Nase, bevor sich die Türflügel öffneten und der Lord mit den beiden Wölfen an seiner Seite das Gemach betrat. Mit angehaltenem Atem spähte der Erdgnom durch ein Loch im rostroten Samt.
    Krol von Tarî-Grôth ließ seinen Umhang von der Schulter zu Boden gleiten. Er warf sich in den einst prachtvollen Sessel von grünem Brokat, der zwar verschlissen, aber noch immer bequem schien. Sein Körper war von einem schwarzen Gewand verhüllt, die Beine steckten in hohen Stiefeln. »Kranon«, sagte er leise und streckte seine weiße Klauenhand aus.
    Einer der Wölfe kam zu seinem
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