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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht
Autoren: Ulrike Schweikert
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widerstrebende Blauschopfmädchen, eilte er aus seinem Gemach und die Treppe hinab. Céredas folgte ihm.
    Tahâmas Gedanken rasten. Was war geschehen? Hatte ihr Lied den Lord aufgehalten, obwohl Krísodul ihren Händen längst entglitten war? Die Worte ihres Großvaters kamen ihr in den Sinn: »Glaubst du wirklich, meine Macht ist an den Stein gebunden?« War es möglich, dass auch die Musik allein etwas bewirken konnte? Vielleicht würde sie es schaffen, den Lord so zu verwirren, dass sie sich Krísodul greifen konnte ...
    Sie erreichten die letzten Stufen der Treppe. Krol von Tari- Grôth zerrte Tahâma in die unterirdische Halle. Schritt für Schritt schob er sie auf den Schacht zu. Wollte er sie dort hineinwerfen? Sie fühlte, wie ihre Kräfte schwanden. Die kalte Angst umschloss sie wieder und drang in sie ein. Da holte Tahâma tief Luft und stieß ein paar schrille Töne aus. Der Lord zuckte zusammen. Der Griff an ihrem Arm lockerte sich. Mit einem Ruck riss sie sich los. Sie umfasste den Stab und entwand ihn seiner Hand. Sie sang weiter, immer weiter, während der Stab aufblitzte und die Halle in gleißendes Licht tauchte.
    Der Schattenlord presste sich die Hände an die Ohren und wankte zurück. Ein Flammenstrahl schoss aus dem Stein und hüllte ihn ein. »Céredas!«, schrie er. »Nimm ihr den Stab ab!«
    Der Jäger schnellte nach vorn und stellte sich zwischen den Lord und das Mädchen. Die Flammen brachen in sich zusammen.
    »Bring den Stab zu mir!«, befahl der Schattenlord mit zitternder Stimme. Langsam ging Céredas auf Tahâma zu, die vor ihm zurückwich. »Töte mich«, flehte er, »ich kann mich seinem Befehl nicht widersetzen.« Er keuchte und zitterte am ganzen Leib, doch er kam mit ausgestreckter Hand Schritt für Schritt näher. »Er ist erst dann besiegt, wenn die Seelen befreit sind! Du hast die Macht dazu!«
    »Nein!«, schrie Tahâma und wich zurück. »Ich kann dich nicht töten. Bitte bleib stehen, komm nicht näher!«
    Céredas rückte weiter vor. Schon spürte Tahâma die Wand in ihrem Rücken. »Bitte«, flüsterte sie und sah ihn flehend an. »Wenn er besiegt ist, dann wird alles wieder gut. Wir werden ein Mittel finden, um deinen Körper vom Gift des Werwolfs zu befreien.« Die Verzweiflung wollte ihr Herz sprengen, aber er kam immer näher. Nun stand er vor ihr und wand den Stab aus ihren Händen.
    Der Schattenlord stieß ein triumphierendes Lachen aus und streckte seine Klauenhand vor. »Bring mir den Stab, mach schon!«
    Wankend kehrte Céredas um und tappte steifbeinig durch die Halle. Nun erreichte er den Rand des Brunnenschachtes. Nur noch wenige Schritte, dann würde der Lord den Stab in Händen halten. Wer konnte sagen, was für grausame Taten er mit ihm ausführen konnte?
    Der Jäger blieb stehen und wandte sich noch einmal zu Tahâma um. »Du bist zu Großem bestimmt«, stieß er hervor.
    Sein Atem rasselte. »Für mich aber ist es zu spät. Ich kann das Gift in mir nicht besiegen. Tahâma, glaube an die Kraft in dir!«
    Der Schattenlord kreischte voller Wut, der Herzschlag des Mädchens setzte für einen Augenblick aus. Noch ein letzter Blick aus seinen braunen Augen, dann sprang Céredas, den Kristallstab in der Hand, in den Brunnenschacht hinab. Der Lord verstummte. Einige Augenblicke war nichts zu hören, dann schlug der Körper des Jägers auf den felsigen Grund tief unter der Festung Tarî-Grôth auf. Es war Tahâma, als könne sie spüren, wie seine Knochen barsten und der Körper zerschmetterte. Sie fühlte, wie das Leben aus ihm entwich. Tahâma fiel auf die Knie und schrie, dass ihr Schmerz in dem Verlies und den unterirdischen Gängen widerhallte.
    Der Schattenlord richtete sich auf. Er schien zu wachsen. »Ja, lass mich deine Verzweiflung fühlen!«, rief er.
    Ihre Beine wollten sie nicht mehr tragen. Sie fühlte sich finster und leer. Erschöpft sank sie auf dem Boden zusammen. Nun hatte sie endgültig verloren. Was hätte aus ihrer zart aufkeimenden Liebe für eine kräftige Pflanze werden können. Aber nun war er tot, und sie würde die Hoffnung, die er in sie gesetzt hatte, enttäuschen. Mit einem zufriedenen Lächeln kam der Schattenlord langsam näher.
    Eine zarte Melodie kam Tahâma in den Sinn. Das Lied erzählte von Liebe und Schönheit, Mut und Treue, von zärtlicher Berührung. Die Harmonien schwangen tröstlich in ihrem Herzen. Sie öffnete den Mund. Ganz leise erhob sich ihre Stimme, weich und voller Sehnsucht. Es war ihr, als wichen die Wände
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