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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht
Autoren: Ulrike Schweikert
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Sessel und setzte sich auf die Hinterläufe. Die Hand grub sich in das Nackenfell. Der andere Wolf ließ den Blick durchs Zimmer wandern und sprang dann mit einem Satz aufs Bett. Er schloss die Augen und legte die Schnauze auf seine Vorderläufe.
    »Wieder ist eine Nacht vorbei, und die Sonne treibt mich in mein dunkles Gemach. Wieder habe ich den Tod gebracht und mich an der Angst gestärkt.« Die Krallen fuhren durch das Fell des Wolfes. »Eine Nacht wie jede andere zuvor, wie jede weitere sein muss. Wird es sich irgendwann ändern? Wird irgendwann etwas geschehen, das diesen Kreislauf unterbricht? Wenn ich nur begreifen könnte, was meine Schöpfer mit mir vorhaben. Verbirgt sich ein Sinn hinter dem ewig Gleichen? Nacht für Nacht bin ich gezwungen, Angst und Schrecken, Panik und Tod zu bringen. Gibt es ein Warum? Ein Wofür?«
    Wurgluck zwinkerte überrascht. Was sollte er davon halten? Der mächtige Lord nur ein Sklave, der seinen Schöpfern gehorchen musste?
     
    Tahâma lauschte. Waren da nicht leise Schritte vor der Tür? Sie griff nach ihrem Stab. Der Schlüssel kratzte, als er in das Schloss geschoben wurde. Knirschend drehte er sich zweimal, die Klinke senkte sich. Tahâma hob den Kristall.
    »Komm schnell«, flüsterte Céredas’ Stimme durch den Türspalt.
    Sie warf ihr Bündel über die Schulter und huschte in den Gang hinaus.
    »Sei still«, wisperte Céredas. Die Anspannung war ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Hast du Wurgluck gefunden?«, fragte sie leise, während sie neben ihm den Gang entlangschlich.
    Céredas schüttelte den Kopf. »Leider noch nicht. Wir suchen ihn später. Zuerst bringe ich dich zum Schattenlord. Er ist allein in seinem Gemach. Die Gelegenheit ist günstig!«
    Mit klopfendem Herzen folgte Tahâma dem Jäger, der sie durch leere Gänge und Kammern führte, bis sie vor der Tür standen, die in das Gemach des dunklen Lords führte. Céredas klopfte, dann drückte er die Klinke und stieß die beiden Türflügel weit auf.
     

Kapitel 15
Die Macht der Musik
    Der Schattenlord saß im Sessel, die Beine weit von sich gestreckt, eine Hand auf dem Fell des Wolfes ruhend. Mit dem Mut der Verzweifelten trat Tahâma auf ihn zu und sah ihn an. Sie fühlte Céredas an ihrer Seite. Der Zeitpunkt war gekommen, Nazagur zu befreien. Ihre ganze Kraft war darauf gerichtet, den grausamen Lord zu vernichten. Sie hob ihren Stab und stieß scharfe Laute aus, die in ihren eigenen Ohren schmerzten. Schon spürte sie, wie das blaue Feuer sich sammelte, um gleich darauf mit seiner ganzen zerstörerischen Kraft hervorzubrechen. Tahâma sah den Schatten einer Bewegung in ihren Augenwinkeln, aber bevor sie darüber nachdenken konnte, was das zu bedeuten hatte, traf ein kräftiger Faustschlag ihr Handgelenk. Mit einem Schmerzensschrei ließ sie den Stab fallen, und er flog in weitem Bogen davon, prallte gegen einen Wandteppich und blieb am Fuß der Bettes liegen. Für einen Augenblick war Tahâma wie gelähmt. Fassungslos sah sie den Jäger an ihrer Seite an, der nun einige Schritte vortrat. Céredas beugte den Nacken und fiel auf die Knie. »Gebieter, hier bringe ich die Hüterin der blauen Flamme, wie Ihr es befohlen habt.« Der Schattenlord beachtete den Jäger nicht, sondern sah unverwandt Tahâma an, die tonlos den Mund öffnete und wieder schloss. Selbst im Sitzen überragte er sie. Sein Gesicht war hager, die Haut von stumpfem Grau, die schmalen Lippen schwärzlich verfärbt. Das silberweiße Haar wallte um sein Haupt, als spiele der Wind in ihm, obwohl sich in dem Schlafgemach kein Lufthauch regte. Sie sah auf seine Klauenhand hinab, an der ein großer Rubinring schimmerte. Noch immer spielten die Finger mit dem Fell des Wolfes, der seine gelben Augen ebenfalls auf das Mädchen gerichtet hatte.
    »Komm her«, befahl der Lord leise.
    Tahâma fühlte, wie ihre Beine danach drängten, ihm zu gehorchen, aber ihr Wille war stärker. Sie kniff die Augenbrauen zusammen und rührte sich nicht.
    Der Lord öffnete den Mund und ließ seine spitzen Zähne sehen. Er lachte, erst lautlos, dann mit kalter, freudloser Stimme. Langsam erhob er sich, das schwarze Gewand bauschte sich auf. Er glitt heran und umrundete das Mädchen. Sein Blick durchbohrte sie, aber sie wankte nicht. »Du bist anders als der Rest deines Volkes. Stolz, stark und unbeugsam. Ich spüre deinen Widerstand, deine Weige rung, dich der Verzweiflung hinzugeben. Vielleicht wird diese Nacht sich von den anderen unterscheiden. Wer hätte das
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