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Stalingrad

Stalingrad

Titel: Stalingrad
Autoren: Viktor Nekrassow
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ERSTER TEIL
    1
    Der Rückzugsbefehl kommt ganz überraschend. Erst gestern war aus dem Divisionsstab der ausführliche Plan für den Ausbau der Verteidigungsanlagen eingetroffen: eine zweite Abwehrstellung, Ausbesserung der Wege, kleine Brücken. Drei Pioniere zur Einrichtung des Divisionsklubs waren bei mir angefordert worden.
    Am Morgen kam ein Anruf vom Divisionsstab: Vorbereitungen treffen zum Empfang des Frontensembles für Gesang und Tanz. Was hätte beruhigender klingen können? Wir, Igor und ich, hatten uns sogar extra rasiert, die Haare geschnitten, den Kopf gewaschen und bei dieser Gelegenheit auch gleich Sporthose und Hemd mit ausgewaschen, und nun lagen wir am Ufer des halbversiegten Flüsschens, warteten, daß unsere Sachen trockneten, und beobachteten meine Pioniere, die kleine Flöße für die Spähtrupps bauten.
    Wir lagen, rauchten, schlugen einander auf dem Rücken die fetten, trägen Bremsen tot und sahen zu, wie mein stellvertretender Zugführer die Flöße ausprobierte und dabei im Wasser Kobolz schoß; sein weißer Rücken und seine schmutzigen Hacken tauchten abwechselnd auf.
    In diesem Augenblick bemerke ich von weitem den Stabsmelder Lasarenko. Er läuft im Trab durch die Gärten und hält mit der Hand das Gewehr fest, das ihm auf dem Rücken hin und her baumelt. An dieser Gangart erkenne ich sofort, daß die Lage brenzlig ist. Wahrscheinlich wird gleich wieder ein Inspizient erscheinen, entweder von der Armee oder vom Frontkommando. Folglich wird’s wieder heißen: in die vorderste Linie gehen, die Verteidigungsanlagen vorführen und sich Kritik gefallen lassen müssen. Unsereiner hat immer die Suppe auszulöffeln. Die Nacht ist dann verloren.
    Nichts ist schlimmer, als in der Verteidigung zu liegen. Jede Nacht Kontrolle, und jeder Inspizierende hat seinen eigenen Geschmack. Das ist nun einmal so! Dem einen sind die Schützengräben zu eng und unbequem, um Verwundete oder Maschinengewehre durchzuschleppen. Dem anderen sind sie zu breit: die Splitter könnten einen leichter treffen. Dem dritten ist die Brustwehr zu niedrig: »Vorschrift ist Null Komma vierzig, und Sie haben, sehen Sie, kaum zwanzig.« Der vierte ordnet an, sie ganz und gar zu entfernen, da sie angeblich die Stellung verraten. Versuche, es allen recht zu machen! Der Divisionsingenieur aber zuckt nicht einmal mit der Wimper. In zwei Wochen ist er nur ein einziges Mal hier gewesen, ist im Galopp durch die vorderste Linie gerannt und hat kein vernünftiges Wort gesprochen. Ich aber muß jedesmal von neuem anfangen und mir, Hände an der Hosennaht, die Leviten vom Regimentskommandeur lesen lassen: »Wann werden Sie endlich, verehrter Genosse Ingenieur, lernen, auf vernünftige Weise Schützengräben auszuheben?«
    Lasarenko springt über den Zaun.
    »Nun, was ist los?«
    »Der Hauptmann, der Stabschef, befiehlt zu sich!« – Er lacht übers ganze Gesicht, daß die Zähne blitzen; mit der Feldmütze wischt er sich den Schweiß von der Stirn.
    »Wen? Mich?«
    »Sie und auch den Chef des Gasschutzdienstes. Er hat gesagt, Sie sollen in fünf Minuten bei ihm sein.«
    Nein. – Also keine Kontrolle.
    »Weißt du nicht, was los ist?«
    »Der Teufel weiß es.« Lasarenko zuckt mit den Schultern.
    Auf seiner Feldbluse zeichnen sich frische Schweiß flecke ab. »Verstehe nichts … Alle Melder sind losgeschickt. Der Hauptmann wollte gerade schlafen gehen, da kam ein Verbindungsoffizier …«
    Also müssen wir die feuchten Hosen und das nasse Hemd anziehen und zum Stab gehen. Die Zugführer sind auch befohlen worden.
    Maximow, der Stabschef, ist nicht zu sehen. Er ist beim Regimentskommandeur. Am Unterstand, in dem sich der Stab eingerichtet hat, sind die Chefs der verschiedenen Dienste und die Offiziere des Stabes versammelt. Von den Bataillonskommandeuren ist nur Sergijenko anwesend, der Kommandeur des dritten Bataillons. Niemand weiß etwas Genaues. Der lange Leutnant Swerew, Verbindungsoffizier, müht sich mit einem Sattel ab. Er schnauft und flucht; es gelingt ihm nicht, die Gurte festzuziehen: »Der Divisionsstab wird verlegt. Das ist alles …« Mehr weiß er nicht.
    Sergijenko liegt auf dem Bauch und schnitzt an einem Span. Wie immer brummt er vor sich hin:
    »Eben hat man die Entlausungskammer in Ordnung gebracht, und nun geht wieder alles zum Teufel. Verfluchtes Soldatenleben! Die Soldaten kratzen sich bis aufs Blut. Es ist unmöglich, das Ungeziefer auszurotten …«
    Samussew, der Chef der Panzerabwehrkompanie, ein Mann mit
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