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Die schöne Ärztin

Die schöne Ärztin

Titel: Die schöne Ärztin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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getreten.
    Der Wagen drehte sich um die eigene Achse, der Hase flüchtete in die Felsen, Veronika Sassen klammerte sich am Armaturenbrett fest.
    »Kopf, einziehen!« brüllte Dr. Pillnitz. Er gab erneut Gas, versuchte den tanzenden Wagen abzufangen, steuerte gegen, gab erneut Gas und sah, wie der kleine Wagen trotzdem unaufhaltsam dem ungesicherten Straßenrand entgegenrutschte.
    Der Abgrund! Das seitliche Ende der Straße! Die Schlucht, die sich in der Tiefe wie im Unendlichen verlor!
    »Nein!« schrie Veronika grell. »Nein! Ich will nicht! Mein Gott! Mein Gott!«
    Der Wagen stieß mit der Nase über den Straßenrand hinaus, schwebte einen Sekundenbruchteil frei in der Luft, kippte nach vorn ab und fiel dann senkrecht in die endlose Tiefe.
    Erst gegen Mittag fanden Holzfäller durch Zufall das völlig zerschellte Fahrzeug auf einem Felsvorsprung. Zwei Körper, bis zu Unkenntlichkeit zerschmettert, lagen in den Trümmern. Entsetzt starrten die Holzfäller den Felsen hinauf. Dort oben war die Straße, ein schmales Band nur. Wer hier herunterfiel, war unrettbar verloren.
    Fast um die gleiche Zeit, als südlich von Grenoble der kleine Sportwagen die Felsen herunterstürzte, erwachte in der Klinik Dr. Ludwig Sassen aus seiner Ohnmacht. Es war, als bestünde eine geheimnisvolle Verbindung mit dem Ereignis in den französischen Seealpen. Dr. Sassen fuhr im Bett hoch, griff wie suchend um sich und schrie mit starren Augen: »Vroni! Was ist mit Vroni? Was ist mit ihr geschehen?«
    Die Schwester und der Stationsarzt drückten ihn ins Bett zurück und gaben ihm eine stärkere Kreislaufinjektion. Daß er überhaupt noch einmal aufwachte und nicht ins Jenseits hinüberdämmerte, war an sich schon ein kleines Wunder. Der Chefarzt hatte den Angehörigen keine Hoffnung gemacht. Es sei kein bloßer Infarkt, hatte er gesagt. Es sei ein Gehirnschlag. Man müsse das Schlimmste befürchten.
    Der Zustand Dr. Sassens blieb ungewiß über zwei Wochen hinweg. Er schwankte zwischen Erkennen und Bewußtlosigkeit, zwischen Stunden geistiger Denkfähigkeit und Tagen völliger Apathie.
    So begriff er auch nicht, daß eines Morgens die Besucher in Schwarz zu ihm kamen. Man hatte die Überreste Veronikas und Dr. Pillnitz' begraben. Niemand unterrichtete ihn von der Tragödie in den französischen Seealpen, er hätte es auch nicht verstanden. Man einigte sich, daß Veronika für alle Zeiten verschwunden bleiben sollte und Dr. Pillnitz seine Stellung gekündigt habe und nach Süddeutschland gezogen sei. Um es glaubhaft zu machen, erfand man die Erbschaft einer Patentante, die er dort angetreten hatte.
    In diese Zeit fiel der Bau einer kleinen Kirche, einer Kapelle aus altem Holz und rohen Steinen, die die italienischen Gastarbeiter in ihren Freischichten errichteten. Pater Wegerich hatte als Standplatz jene Stelle gewählt, an der sich Luigi Cabanazzi und Enrico Pedronelli gegenseitig getötet hatten.
    »Es soll eine Sühnekapelle werden«, hatte Pater Wegerich im Italienerlager gepredigt. »Und wer einmal von euch in Bedrängnis kommt, wer glaubt, nicht mehr weiterzukönnen, wer glaubt, daß ihm nur noch eine böse Tat helfen kann, der soll hinausgehen zur Kapelle und an der Stelle niederknien, die vom Blut der Untat getränkt ist. Wir sind von Gott auf die Welt gesetzt, um Gutes zu tun im Sinne Jesu Christi. Das soll unsere Kapelle zeigen. Sie soll Schutz und Halt für die Schwachen unter uns sein.«
    Aus den groben Steinen des Bruchs, aus den Brettern der verlassenen Schrebergartenhütten bauten die Italiener ihre Sühnekapelle. Sie arbeiteten zwei Wochen lang, dann kamen, wie Tropfen, die einen warmen, segensreichen Regen ankünden, vereinzelte Buschhauser hinzu, Kumpels und Rentner, mit Werkzeugen und Winden, mit Gerüsten und Maschinen und vor allem mit ihren handwerklichen Fachkenntnissen als Maurer, Schreiner, Glaser und Fliesenleger.
    Nach drei Wochen wimmelte es international im Bergener Bruch, und Pater Wegerich mußte Schichten einteilen, damit die Zahl der Bauwilligen nicht die der Steine übertraf. Auch Onkel Lorenz war dabei. Allerdings schleppte er weder Felsbrocken noch Balken, sondern er hatte einen Stand aufgebaut und fungierte als Kantinenwirt. Er verkaufte Bier und Rotwein (Schnaps hatte Pater Wegerich verboten), heiße Würstchen und Pizza, Panetone und Eis am Stiel. Er verdiente gut dabei, versoff aber seine Einnahmen umgehend wieder im eigenen Betrieb.
    So ging das Leben in Buschhausen weiter. Die Schichten fuhren ein, die
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