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Die schöne Ärztin

Die schöne Ärztin

Titel: Die schöne Ärztin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bürgerlichkeit. Diese Moral um jeden Preis. Ich bin nicht auf dieser Welt, ich war immer ein kleines armes Mädchen, das seinen Vater nicht kannte, das sich selbst ernähren mußte und schon als Backfisch auf die Straße ging, weil man dort mehr verdienen konnte als irgendwo in einer Lehre, genug jedenfalls, um auch die Schnapsflaschen zu bezahlen, die Mutter jeden Tag austrank. Dann kamen die Männer, die mehr wollten als nur eine Stunde. Ich ging durch die Betten reicher angesehener Bürger, lag in den Armen verschiedener Industrieerben, wurde auf Empfehlung zwischendurch Krankenschwester und Serviererin, Bardame und Mannequin, Eckendirne und Call-Girl, Reisesekretärin und Masseuse … bis zu dem Tag, an dem ich Dr. Pillnitz kennenlernte. Er war die große Liebe. Plötzlich spielte das Herz mit, plötzlich war ein Mann da, der mich aus dem Sumpf herausziehen konnte. Er tat es auf seine eigene, sarkastische Art: Er verkuppelte mich an einen Dr. Ludwig Sassen. Einen Millionär. Einen Zechenherren. Mit einem kleinen Wort, mit einem ›JA‹, konnte ich Mittelpunkt der Gesellschaft sein, deren Schlafzimmer ich bis dahin nur kannte, wenn die Ehefrauen verreist waren. Ich sagte ja … und was ist nun daraus geworden?
    Langsam drehte sich Veronika Sassen herum. Dr. Pillnitz stand noch immer mitten im Zimmer und wartete auf eine Antwort.
    »Wann fährst du?« fragte sie leise.
    Dr. Pillnitz nickte. »Siehst du. Genau die gleiche Frage, die ich dir vorhin in den Mund gelegt habe. Ich bin abfahrbereit, Vroni. Es ist alles gepackt. Ich habe keine großen irdischen Güter … bis auf ein Bankkonto von 50.000, – Mark und ein Haus bei Antibes am Mittelmeer. Ich hatte Zeit, eisern zu sparen, jahrelang habe ich den gleichen Anzug getragen, bin zu Fuß gegangen, hatte vier Hemden zum Wechseln, aß wie ein Asket. Ich wußte, daß es einmal so kommen würde wie heute, daß wir einmal unser Leben ganz allein führen würden, nur wir zwei, in einem kleinen weißen Haus in verwilderten Weinbergen, mit einem Blick über das Kap Antibes, das blaue Meer und auf die untergehende rote Sonne.« Er strich sich über die Augen. Es war eine resignierende Bewegung. »Ich weiß, was mich dort erwartet. Die Hölle. Die Hölle mit dir. So wie du Sassen und alle anderen betrogen hast, wirst du auch mich laufend betrügen. Mit Kurgästen, mit dem Gärtner, mit dem Milchmann, mit dem Zitronenverkäufer, mit dem Teppichhändler, mit dem Mann vom Elektrizitätswerk, mit dem Polizisten, der seine Streifen macht. Du kannst nicht anders. Aber ich werde es ertragen, weil ich dich liebe. Es gibt auf Erden eben auch eine Hölle, die man genießen kann wie ein berauschendes Getränk, so wie man sich mit Schmerz betäuben kann, wie Selbstqual eine Lust erzeugen kann. Und meine Hölle bist du, Vroni, aber ich kann ohne diese Hölle nicht mehr sein.«
    Sie schwiegen. Und sie wußten, daß sie beide die Wahrheit gesagt und gedacht hatten. Sie gehörten zusammen in der rätselvollen Aufgabe, sich gegenseitig zu zerstören und doch zu lieben. Sie waren zwei Menschen, die außerhalb aller Normen waren, aller Moralitäten, aller Wertmaßstäbe. Sie waren gewissermaßen Urtiere ihrer Leidenschaft, unbelastet von Zivilisation und Ethik.
    »Hast du mit Sassen darüber gesprochen?« fragte Dr. Pillnitz.
    »Nein.«
    »Wann tust du das?«
    »Ich weiß nicht. Soll ich es überhaupt?«
    »Er hat es verdient, daß man ihm sagt, wie die Dinge liegen.«
    »Willst … willst du es nicht tun?« fragte sie bittend.
    »Wenn du zu feig dazu bist …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das hat nichts mit Feigheit zu tun. Es ist mir einfach zu unangenehm.«
    »Typisch für dich. Aber gut, ich nehme dir die Aufgabe ab. Was wird mit Oliver?«
    Veronika senkte den Kopf und begann zu weinen. »Er bleibt hier bei Sassen.«
    »Du kannst dich von ihm trennen?«
    »Ich muß! Ich habe es mir lange überlegt, habe mit mir gerungen, es ist besser so. Niemand wird es begreifen, aber ich erbringe damit den größten Beweis für meine Mutterliebe.«
    Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte: »Ich habe immer Rollen gespielt. Mein ganzes Leben war Theater, mal Komödie, mal Tragödie, wie es gerade sein mußte, ich spielte alles. Nur die Rolle der Mutter, die habe ich nie gespielt, die war echt. Ich liebe meinen Oliver, er ist mein Kind, ihm habe ich das Leben geschenkt, das ist das einzige, was ich an Positivem geleistet habe, er ist meine einzige gute Tat. Glaubst du, daß es mir leicht
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