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Die schöne Ärztin

Die schöne Ärztin

Titel: Die schöne Ärztin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hob. Zufällig fiel sein Blick auf die Uhr. 22.30 Uhr. Bald kam die Ablösung. Gott sei Dank. Der Dienst an einer Grenze im EWG-Europa wird langsam langweilig.
    »Wo übernachten wir?« fragte Veronika, als sie an einer Nachttankstelle den Wagen auftankten.
    »Wo du willst. Wir sind jetzt völlig frei, mein Liebchen.«
    »Ich bin müde«, sagte sie.
    »Soll ich fahren?«
    »Du? Mit deinen Beinen?«
    »Die hindern mich im Auto nicht. Gas geben, bremsen und kuppeln, das geht prima.«
    Sie wechselten die Plätze und Dr. Pillnitz fuhr weiter. Er hielt nicht an, um zu übernachten. Er schien den Ehrgeiz zu haben, so schnell wie möglich die französische Mittelmeerküste zu erreichen. Veronika Sassen hatte ihren Sitz heruntergeklappt zu einem Liegesitz und schlief fest, zugedeckt mit einem Plaid aus schottischer Wolle.
    Wie ein Geschoß, dessen Bahn nichts hindert, flog der kleine weiße Sportwagen durch die Nacht. Die französische Grenze. Kurze Paßkontrolle, ein paar freundliche Worte, ein galanter Grenzer, der Madame schlafen ließ.
    Und dann weiter. Nach Süden. Dem Rhonetal entgegen. Auf der berühmten Route Napoleon, die am Mittelmeer endet.
    Dr. Pillnitz schien keine Müdigkeit zu kennen. Zweimal hielt er an Fernfahrerrestaurants, ließ sich eine Cola an den Wagen bringen, trank sie schnell leer und raste weiter durch die Nacht.
    Veronika schlief fest und glücklich. Beim Morgengrauen erreichten sie Grenoble, die herrliche alte Universitätsstadt in den Bergen. Durch deren Straßen fuhr Pillnitz etwas langsamer. Hier hatte er zwei Semester studiert, einundzwanzig Jahre alt war er damals gewesen, und er hatte die Tochter seiner Zimmerwirtin geliebt. Babette hatte sie geheißen. Daß man so etwas nie vergißt! Sie hatte braune Haare gehabt, Grübchen und übte immer seinen Namen. Bern'ard, sagte sie immer. Isch lieben disch.
    Er fuhr an dem alten, breitgiebeligen Haus vorbei, in dem er ein Jahr lang gewohnt hatte. Gab es Babette noch? Wohnte sie als mehrfache Mutter jetzt in den gleichen Räumen, dort, in der dritten Etage? Wie mochte sie jetzt aussehen? Bestimmt etwas dicklicher, denn sie hatte immer eine pummelige Figur gehabt und knabberte gern Süßes.
    Kleine Babette.
    Dr. Pillnitz blickte zurück in die Vergangenheit, während er Grenoble durchfuhr. Dann, außerhalb der Stadt, zum steilen Paß hinauf, hinter dem die Straße wieder atemberaubend steil zum Küstenflachland abfiel, erhöhte er wieder die Geschwindigkeit.
    Die Straße wurde glatt und seifig, mit vereisten Rändern und eiszapfenverzierten Felsendurchbrüchen. Eine Schneedecke beschwor Gefahren herauf.
    Natürlich, wir haben ja bald Winter, dachte Dr. Pillnitz. Um diese Jahreszeit liegt hier oben schon Schnee. Aber die Reifen sind neu und gut. Veronika hat den Wagen ja erst seit sechs Wochen.
    Hell singend, mit hochgedrehtem Motor, kletterte der kleine weiße Wagen hinauf zum Paß. Veronika drehte sich etwas auf dem Liegesitz, schlug dann die Augen auf und hob den Kopf.
    »Wo sind wir denn schon?« fragte sie schlaftrunken.
    »Hinter Grenoble, mein Süßes.«
    »Das ist doch unmöglich.« Sie richtete sich auf und blickte ungläubig aus dem Fenster. »Bist du denn geflogen?«
    »Fast. Auf den Schwingen des Glücks. So etwas merkt auch die an sich tote Materie eines Autos. Es läuft … und läuft … und läuft.«
    »Daß du nie vernünftig werden kannst!« Veronika schüttelte das schlafwirre Haar. »Bist du denn nicht müde?«
    »Nein.«
    »Du sitzt jetzt länger als acht Stunden am Steuer.«
    »Wirklich?« Dr. Pillnitz schaltete das Autoradio ein. Morgenmusik vom Sender Monte Carlo. Erste Grüße des Mittelmeeres, das vor ihnen lag, nur noch ein paar Stunden entfernt. Wenn die Sonne richtig schien, würden sie auch schon das blaue Meer leuchten sehen. Ihre neue Welt. Ihre selbstgewählte Hölle.
    »Wie ist die Straße?« fragte Veronika und gähnte.
    »Mist, mein Süßes. Glatt wie Schmierseife.«
    »Und du fährst fast siebzig.«
    »Auf den Flügeln des Glückes.« Dr. Pillnitz lachte.
    Und dann war plötzlich ein Hase da. Er hockte mitten auf der vereisten Straße, starrte den auf ihn zukommenden Scheinwerfer an, hob die Löffel und wußte nicht, was er tun sollte.
    »Nicht bremsen, Bernhard!« schrie Veronika, die den Hasen im gleichen Augenblick wie Dr. Pillnitz sah.
    Ihr Schrei kam zu spät. Mit einer Reflexbewegung, die jeder Autofahrer macht, wenn er ein lebendes Wesen vor sich auf der Straße sieht, war Pillnitz voll auf die Bremse
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