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Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe

Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe

Titel: Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
Autoren: Margit Sandemo
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war, um das Vieh für den Herbst von der Alm ins Tal zu treiben. Mattias war auf Krankenbesuch und Yrja und Tarald auf Eikeby. Das Gesinde befand sich in der Kirche zur Abendandacht. Sie waren also allein im Haus.
    Da setzten urplötzlich bei Gabriella heftige Wehen ein. »Liebe Güte«, sagte Liv. »Das geht aber schnell! Es bleibt keine Zeit mehr, um die Hebamme zu holen! Das kommt davon, daß du heute unbedingt den schweren Waschbottich heben mußtest, du Dummerchen!«
    Sie hatten noch nicht mit der Niederkunft gerechnet, aber jetzt mußten sie alles stehen- und liegenlassen, um ihr zu helfen. Are sorgte für einen Zuber voll Wasser, während Liv in aller Eile Gabriellas und Kalebs Schlafzimmer herrichtete und die Enkelin ins Bett brachte.
    Das ganze ging erschreckend schnell und schmerzhaft vor sich. Liv wurde schneeweiß im Gesicht, als ihr aufging, was da eigentlich vor sich ging.
    »Are! Hilfe!« rief sie, beinahe wahnsinnig vor Schreck. Gabriella, die nie besonders stark gewesen war, hatte unter den entsetzlichen Schmerzen das Bewußtsein verloren. Und das war nur gut so.
    Liv starrte auf das neugeborene Kind, das so unerwartet schnell zur Welt gekommen war. Sie schloß die Augen. »Nein!« wisperte sie entgeistert. »Nein! Nein! Nein? Als Are herbeigelaufen kam, sah er seine Schwester regungslos und mit geschlossenen Augen am Bett stehen. »Liv! Bist du von Sinnen? Nimm das Kind und schlag ihm auf den Po! Es atmet doch noch nicht!« »Are«, murmelte sie nur verschwommen.
    Er sah das kleine Mädchen an, das dort schlaff und offenbar leblos lag.
    »O mein Gott«, flüsterte er. »Also hier hat der Fluch diesmal zugeschlagen!«
    »Es ist eine Wiedergeburt der Hexe Hanna, Are«, sagte Liv am Boden zerstört. »Jetzt erinnere ich mich mit schrecklicher Deutlichkeit, wie sie ausgesehen hat. Und das bei Kaleb und Gabriella!« jammerte sie. »Wo sie so lange gewartet haben und so froh und erwartungsvoll waren!«
    »Nein, das haben sie wahrlich nicht verdient«, sagte Are heiser.
    Liv preßte hervor: »Weißt du noch, wie wir um Kolgrims Leben gebettelt haben? Als Vater den neugeborenen Jungen töten wollte? Wir haben ihm das Leben gerettet. Und er versuchte Mattias das Leben zu nehmen, er tötete unseren geliebten Tarjei und trieb meinen Dag ins Grab.« Sie flüsterte mit geschlossenen Augen: »Nicht noch einmal, Are! Nicht noch einmal! O Gott, was soll ich nur tun?«
    Are blickte hinunter auf das regungslose, entsetzliche, lebensgefährliche kleine Geschöpf, das dort lag. »Sie wurde zu früh geboren, nicht wahr? Geh hinaus, Liv, geh, das ist das Kind deiner Enkelin, nicht meiner. Geh jetzt, bevor Gabriella aufwacht, ich kümmere mich darum.«
    Mit intensiven Bemühungen würden sie das kleine Mädchen wohl zum Atmen bringen. Mit aufopfernder Pflege würde es wohl gedeihen, würde groß werden… »Are… «, begann sie mit Tränen in den Augen. Dann ging sie hinaus.
    Gabriella und Kaleb bekamen ihre kleine Tochter nie zu Gesicht. Aber das tote Kind wurde in einen Sarg gelegt und erhielt seinen Platz auf dem Friedhof. Und die ganze Familie erfuhr, daß das Mädchen tot geboren worden - und eine der Verfluchten des Eisvolks gewesen war. So konnten die anderen aus Gabriellas Generation sich sicher fühlen, normale, willkommene Kinder zu bekommen.
    Es dauerte lange, bis Gabriella den Kummer überwand. Nur Kaleb durfte die ersten Tage bei ihr am Wochenbett sein. Das hier war ihrer beider ganz privater Kummer, und ihr einziger Trost war: »Es war wohl am besten so. Wenn es denn schon so schlimm kommen mußte.« Diese Worte sagten sie sich immer wieder, wiederholten sie die ganze Zeit.
    Als Gabriella sich einigermaßen erholt hatte, konnte sie mit ihm etwas offener darüber sprechen. »Glaub mir, Kaleb, was geschehen ist, war wirklich am besten so, ich weiß, wovon ich spreche. Die Verfluchten bringen nicht nur Unglück über andere, sie sind auch selbst zutiefst unglücklich. Unsere kleine Tochter hat es jetzt gut, sie ist bei Gott, der nicht zwischen Gut und Böse unterscheidet.«
    Ausnahmsweise machte Kaleb sich nicht darüber lustig, daß jemand auf eine höhere, barmherzige Macht vertraute.
    Are und Liv gingen zusammen zur Kirche und knieten dort nieder zum innigen Gebet, lange, lange. Sie hatten eine unmenschliche Wahl treffen müssen. Nun mußten sie leben mit dem, was sie getan hatten - oder besser gesagt, nicht getan hatten - bis ans Ende ihrer Tage. Sie hätten versuchen können, dem neugeborenen Mädchen
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