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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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Schwänze und Vaginas; auf einem Medusa-Kopf mit Leuchtaugen, Totempfählen, Eiern. Einmal ist ein Mann eine Ameise.
    »Feministinnen müssen das lieben, Miss Gräf.«
    »Ja, die kriegen da manchmal gute Laune!«
    Joschi, als Kerl, kriegt Angst. Ich auch. Wir müssen schnell etwas essen, um die Furcht zu vergessen. Am besten Fleisch. Der Türke um die Ecke hat was, es ist gut.
    Es war der Hund, der entschieden hat, dass jetzt mal kurz Schluss ist mit der Penis- und Bakterienkunst. Hunde sind manchmal etwas wertkonservativ. Das müssen sie sein, weil sie abhängig sind, zum Beispiel von mir, was Futter, Wasser, Liebe betrifft. Joschi will Malerei; die gute, alte, romantische. Er will wissen, wie das ist, wenn man im Atelier steht und die Welt abbildet, so wie man sie sieht.
    Michelle Jezierski in Kreuzberg ist seine Frau. Sie ist höflich, interessiert, leidenschaftlich. Sie hat eine vollgekleckerte Hose und Pinsel überall. Sie nimmt Bilder ernst, will sie nicht zerstören, sondern feiern. Sie reist herum und kommt mit Eindrücken von Häusern, Architektur, Licht, Spiegelungen zurück. Die malt sie dann, in leuchtenden Farben. Das ist ihr Leben.
    Joschi mag das. Ich mag das. Wir könnten uns das gut in unserer Wohnung vorstellen.
    Wir mögen auch gern die Bilder von Oliver Flössel. Er malt zwar abstrakt, das verstehen Hunde manchmal nicht (ist ja keine Wurst oder Hütte drauf); aber Joschi ist begeistert von der Farbigkeit und Energie, mit der Flössel malt. Die Bilder, vielschichtig aufgetragen, wirken wie ein Ganzes; Wirbel und Strukturen verbinden sich.
    Hiphop (Mos Def) dringt durch den Raum, während wir bei Flössel sind, der T-Shirt und Malerhose trägt. Das Bild, vor dem wir stehen, ist erst gestern Nacht fertig geworden, das strahlende Grün kam erst frühmorgens dazu. Flössel weiß nur noch nicht, ob er’s quer oder hochkant aufhängen wird. Ja, das sind so Künstlerfragen.
    »Wie heißt es?«
    »Weiß noch nicht.«

    »Wie benennt man ein abstraktes Bild überhaupt? Wie nagelt man das in Buchstaben?«
    »Der Titel kommt ähnlich assoziativ wie das Bild. Genau weiß man’s nicht. Eins nannte ich mal ›Künstler an die Waffen‹.«
    »Ist es sehr romantisch, Künstler zu sein?«
    »Ab und zu schon.«
    »Bist du ein Neuer Wilder oder ein Junger?«
    »Ein Junger, hoff ich.«
    Joschi nimmt auf der Couch Platz und hört Hiphop. Frieden kommt über uns. Ob Vittorio Manalese Terrorist, Scheckbetrüger oder Heiratsschwindler ist, ist grad nicht so wichtig.
    So weit draußen in Berlin war ich noch nie. Die Schönhauser immer weiter bis sie zur Berliner Straße wird und dann immer noch weiter. Hier denkst du gar nicht mehr: Berlin. Du denkst: Moskau, Shenyang, Pjöngjang. Du denkst: Osten, Osten, Osten. Ein Glück, dass Joschi bei Jana ist. Es würde ihn zu sehr deprimieren hier. Links und rechts kein Baum, kein Strauch, kein Hundekollege.
    Dafür ist diese Aurelia dabei. Sie holte mich ab, lud mich ein, führte mich her. Nach Plattenbautown.
    »Mein Gott, ist das hässlich hier. Aber hässlich ist ja manchmal gut für die Kunst«, sagt sie.
    Wir gehen durch eine vergessene Tür in ein vergessenes Foyer und betreten einen vergessenen Fahrstuhl, der uns irgendwo ausspuckt. Am Ende des Ganges steht ein Mann im US -College- Sweatshirt. Ein Jan Koch.
    An den Wänden des Ateliers hängen großformatige Leinwände, meist schwarz oder weiß. Sie sind zerschnitten und zerritzt. Hinter ihnen, auf die Wand gemalt, leuchten Farben, orange, grün. Da ist auch ein Stuhl. Er sieht nicht unbequem aus, aber er steht auf Zitronen.
    »Wie alt sind die?«
    »Die sind ziemlich frisch.«

    »Isst du viel Obst?«
    »In letzter Zeit wieder, ja.«
    »Warum zerschneidest du die Leinwände?«
    Koch erzählt von Matisse, Mondrian, Bauhaus, Günther Förg. Seine Kunst verortet sich offensichtlicher in der Kunstgeschichte als die anderen. Koch sieht uns kaum, während er redet. Er scheint durch die Löcher hindurchzureden, durch die Wand, ins Dahinter. Auf dem Tisch neben seinem Sessel liegt ein Stück Papier. »Innehalten, abwarten, dann mit viel Liebe alles zerstören«, steht darauf. Das Kochrezept.
    Erste Ermüdungserscheinungen, ich mache keinen Hehl daraus. Man kann auch zu viel Kunst gucken. Ist zu viel Kunst überhaupt gut für den Kopf? Macht das nicht dumm? Kann man an zu viel Kunst ersticken? Immer geht’s nur um Bilder, den Bildschaffenden, neue Bilder, alte Bilder.
    Teile diese wie ich finde hochinteressanten Gedanken der
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