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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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nirgends.
    »Hey!«, rufe ich und greife mir den Galeristen. »Wo zur Hölle ist Vittorio Manalese? Du meintest, er wär’ hier!«
    Der Galerist sieht mich an, lange, federnd, so wie er immer Leute ansieht.
    »Er ist schon längst da«, sagt er und weist auf das Durcheinander, auf das Basteln und Bauen:
    »Du bist es
    Ich bin es
    Aurelia ist es
    Wir alle sind es.«
    Er zündet sich eine Zigarette an und lacht wie verrückt.

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Die Sache mit den Beastie Boys
    »Es ist etwas dazwischengekommen, Süße. Ich werd’s wohl nicht mehr schaffen.«
    »Was kann denn bitte beim ersten Date dazwischenkommen?«
    »Die Beastie Boys. Ich wusste gar nicht, dass sie in der Stadt sind. Ken hat mir gerade erst gesagt, dass – hallo? Hallo? Bist du noch dran? Hallo?«
    Ab einem gewissen Alter schwinden einem jungen Mann die Argumente, eine Verabredung mit einem Mädchen abzusagen. Das, was früher mal zog – ein Bier mit irgendeinem Freund, ein Fußballspiel, ein Film, den sie zum ersten Mal und womöglich nie wieder im Fernsehen zeigen –, zieht nicht mehr, schon gar nicht heute, wo man den ganzen Quatsch aufnehmen, im Internet nachgucken oder sich aufs Handy laden kann. Weil die Popkultur inzwischen überall ist, muss man sich nicht mehr mit ihr verabreden. Ganz praktisch, zerstört aber leider die Einzigartigkeit der Ereignisse. Drei gute Gründe für das Versetzen eines Mädchens allerdings – auch eines sehr hübschen wie das eben am Telefon – gibt es noch. Sie heißen
    – Adam Yauch, genannt MCA
    – Michael Diamond, genannt Mike D
    – Adam Horovitz, genannt Adrock.
    Zusammen sind sie die Beastie Boys.
    So sieht es aus heute Abend: Mit ein paar Hundert anderen jungen Männern, alle ziemlich genau 33,3 Jahre alt und meist ohne weibliche Begleitung – sogar die Typen von den Fantastischen Vier haben ihre Damen zu Hause gelassen –, stehst du vor dem Eingang des Berliner Klubs »Maria« am Spreeufer.
    Streng genommen wäre es korrekt zu sagen, dass du auf das Konzert einer New Yorker Hiphop-Truppe wartest, die seit knapp zwanzig Jahren im Geschäft ist und heute, sechs Jahre nach »Hello Nasty«, dem letzten, ihr neues Album vorstellt; aber wirklich streng genommen müsste man sagen, dass der Begriff »Konzert« dem, was gleich passieren wird, nicht nahekommt. Vielmehr ist es ein Gottesdienst, der hier abgehalten wird. Es ist ein Gottesdienst, weil diese Band, die man in den letzten Jahren ohne Übertreibung dank ihres prophetenhaft sicheren Stilgefühls die Drei Weisen aus der Neuen Welt hat nennen können, dein Leben und das von ein paar Millionen anderen Jungs wohl so geprägt hat wie keine andere Gruppe, nicht mal Nirvana. Denn während Nirvana nur einen einzigen Aspekt des Jungseins einfing – den Schmerz und die Verzweiflung –, gelang es den Beastie Boys immer, auch die angenehmen Seiten des Aufwachsens darzustellen: Spaß, Witz und den Willen, mit Stil und Haltung durch die Welt zu springen wie auf einem dieser Hüpfstöcke, die es in den Fünfzigern zu kaufen gab.
    Nachdem sie auf der lustigen Prollplatte »Licensed To Ill« 1986 mit Bier und Pornoheften gegen die Eintönigkeit der amerikanischen High-School-Existenz vorgingen, entwickelten sie drogenlos und geläutert ein paar Jahre später mit »Paul’s Boutique« den Hiphop weiter und brachten 1992 mit »Check Your Head« eine der fünf besten Partyplatten aller Zeiten heraus. Zwei Jahre danach präsentierten sie mit »Sabotage« den charmantesten Videoclip, der je gedreht wurde und bis heute als Karrierestart des Regisseurs Spike Jonze gilt, dem wir die Filme »Being John Malkovich« und »Adaptation« zu verdanken haben. Und lange vor Tarantino brachten uns die Jungs das Zitieren und die Selbstversunkenheit in den Parallelwelten der Popkultur bei und bewiesen, dass politische Korrektheit (in ihrem Fall der Einsatz für das besetzte Tibet) nicht zwangsläufig nach Kräutertees und Räucherstäbchen riechen muss, sondern auch smart daherkommen kann – in Halbarmhemden und den hübschen Sechzigerjahre-Klamotten ihrer Modefirma X – Large etwa.
    Wenn du’s dir genau überlegst, haben die Beastie Boys mehr für dich getan als so mancher Freund, geschweige denn deine Eltern, Brüder oder Schwestern; und darum geht es an diesem Abend um einiges. Es geht darum, ob die drei, die mittlerweile alle Ende dreißig und verheiratet sind, Familien haben und weder rauchen noch Fleisch essen, die also fast korrekter leben als ihr Freund, der Dalai Lama, ob diese
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