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Das Erbe des Zitronenkraemers

Das Erbe des Zitronenkraemers

Titel: Das Erbe des Zitronenkraemers
Autoren: Charlotte Bonerz , Johanna Kirchen
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Prolog
     
    Teilchenbeschleuniger.
    Dieser Anblick ließ ihn unwillkürlich an eine wissenschaftliche Fernsehsendung denken. Elektronenmikroskopische Aufnahmen vom Aufprall der Ionen auf ein Atom. Die dadurch freigesetzte Kraft und das nach genauen Gesetzmäßigkeiten ablaufende Davonschießen der Teilchen hatten ihn regelrecht fasziniert.
    Jetzt hatte er etwas Vergleichbares erschaffen.
    Er stellte es sich vor wie bei einem physikalischen Experiment. Ob die Flugbahn der einzelnen Teilchen auch hier durch feststehende Gesetze der Natur bestimmt wurde? Hatten Größe und Masse einen Einfluss? Spielte das spezifische Gewicht eine Rolle? Sicher verhielt es sich bei diesen Teilchen ähnlich: Körperteilchen. Der Mann musste bei seinem eigenen Wortspiel grinsen.
    Seine Kugel hatte zunächst Haare und Haut dieses Jägers durchdrungen. Dann die Kopfschwarte, dann erst den Schädelknochen und das Hirn, nein, zuerst noch dessen drei Häute, wie er wusste. Dann den ganzen Weg nochmals hinaus. Natürlich in umgekehrter Reihenfolge.
    Auf jeden Fall hatte es gespritzt wie eine Fontäne, als der Kopf zerbarst. Wie eine Fontäne.
    Ein knackendes Geräusch brachte den Mann zurück in die Wirklichkeit. Er beobachtete, wie die drei Wildschweine in einer Dickung verschwanden. Sie waren dem Tod entronnen. Er hatte ihnen das Leben gerettet, indem er ihren Henker mitsamt angelegtem Gewehr zuvor dahingestreckt hatte. Es war das erste Mal, dass er getötet hatte. Es war ganz leicht.
    Stolz erfüllte ihn. Sicher würde diese ganze abscheuliche Jagd nun abgebrochen werden.
    Dieser Gedanke ließ ihn mit einem Mal panisch werden. Jetzt nur nicht alles verderben. Er musste weg von hier.
    Er riskierte einen letzten Blick auf den still daliegenden Jäger ohne Gesicht. Dann wandte er sich um und verschwand zwischen den Bäumen.
    In der bereits einsetzenden Dämmerung war er kaum wahrzunehmen. Wie ein schemenhafter Schatten jagte er den holperigen Waldweg hinunter. Quer über Äste und Gestrüpp, sein Mountainbike dabei fest im Griff. Noch immer hörte er Geschrei und Schüsse, die Jagd war somit noch in vollem Gange, seine Tat also noch unentdeckt.
    Er schleuderte die Waffe mit großem Schwung einen Abhang hinab und hörte sie raschelnd in dichtem Gebüsch aufschlagen.
    Bald sprang er vom Rad, versteckte es sorgfältig. Er rannte bis zu seiner Position, fast atemlos. Endlich stand er wieder dort, von wo er vorhin aufgebrochen war, unbemerkt und ungesehenen. Er atmete tief durch. Füllte seinen Lungen mit frischem Sauerstoff. Unbändige Freude durchströmte jede Faser seines Herzens.
    Es war geschafft: Hannes Harenberg ist weg vom Fenster!
     

Kapitel 1
     
    In Anne kochte die Wut. Gegen ihren vorherrschenden Säuregrad würde Zitronensaftkonzentrat glatt als süßes Parfait durchgehen.
    Wütend wie ein Stier während der Hetzjagd durch die Gassen Pamplonas blies sie die Kerzenstummel aus. Dabei spritzte flüssiges Wachs auf die Damasttischdecke.
    „Na toll!“, dachte sie verärgert. Am liebsten würde sie Hannes mit den Hörnern des Stiers eine Gartenmauer hochjagen.
    Hannes hatte sich nicht geändert. Keinen Deut. Aber was hatte sie auch erwartet? Er wird sich nie ändern!
    Anne räumte die unbenutzten Teller zurück in den Schrank. Sie öffnete die Ofentür und entnahm der noch lauwarmen Höhle die ehemals zartrosa Barbarie-Entenbrust. Im jetzigen Zustand wäre sie perfekt als Holzkohleersatz für den Grill zu gebrauchen, dachte sie.
    Anne feuerte die schwarzen Teile gemeinsam mit der dazugehörigen Rotweinsauce in den Abfalleimer. Zusammen mit den Babybirnen und dem Anisstern bildete die Komposition ein wundervolles Stillleben in der Mülltüte.
    Anne ging zurück zum Esstisch und trank Gran Reserva direkt aus der Flasche. War sowieso nur noch halbvoll, sinnierte sie bitter.
    Hannes.
    Sie hatte ja Verständnis dafür, dass er jetzt im Herbst viel zur Jagd ging. Auch hatte sie verstehen können, dass er als Jagdaufseher an der heutigen Treibjagd teilnehmen musste.
    Anne schaute auf ihre Wohnzimmeruhr. 21.10 Uhr. Frustriert setzte sie noch einmal die Flasche an.
    Vor der Treibjagd hatte Hannes sich nicht drücken können. Aber diese sollte um 19.00 Uhr zu Ende sein. Er hatte versprochen zu kommen. Er wusste, dass sie kochen wollte.
    Hannes wusste, dass sie heute Geburtstag hatte.
    Vermutlich ergießt er sich gerade im Bürgerhaus zu Bekond mit seinen Jagdkollegen bei Kasseler, Kartoffelpüree und Bier über seine Heldentaten während der
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