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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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Mikropenisse, in Mündern, Ärschen und, Entschuldigung: Fotzen – auf Stefan Rincks Bildern, Petersburger Hängung im Atelier, sieht’s aus wie im Internet-Porno. Ein bisschen ist’s auch so.
    »Guckst du viel YouPorn?« Er, wirre Haare, lustiger Blick, meißelt gerade an einer Eulenskulptur herum.
    »Ich muss, ja, leider.«
    »Ist es eine Sucht?«
    »Es ist ein bisschen wie beim Tourette-Syndrom. Andere sagen ›ficken‹, ich muss das malen.«
    »Warum eigentlich?«
    »Ich versuch’, da irgendwie Poesie zu finden.«
    »Was ist das für eine Eule, warum reckt sie den Flügel?«
    »Das ist eine Strebereule. Sie weiß alles. Auch das, was sie nicht weiß.«
    »Der Zombie dahinten auf dem Bild, wer ist das?«
    »Das ist ein Mädchen, in das ich mal verliebt war. Damals, als Kind.«
    »Weiß sie davon?«
    »Nein.«
    Telefonklingeln, hektisch, energetisch, aufgeregt.
    » UND ?«, brüllt der Galerist.
    »Porno«, sage ich.

    »Ist doch gut!«, schreit er und legt auf.
    Berlin-Wedding. Zerlumpte Fabrikgelände, Lagerhallen, verlassene Manufakturen. Die Art Gegend, wo du Rahmen so groß wie Fußballfelder bauen kannst und einen Mord begehen, wenn du Lust drauf hast. Künstlertraum!
    Zhivago Duncan – was ist das bitte für ein Name? Damit hätte der Typ alles werden können: Schauspieler, Musiker, Porno-Model(bin im Kopf immer noch ein bisschen bei Stefan Rinck). Duncan aber ist Künstler – und was für einer: mit Muskelarmen, Kappe und Tätowierungen. Mit Sprühdosen, Lösungsmitteln, Autoteilen. Mit »What’s up, man?« und »Yeah!« und »You know?«. Mit der ganzen tollen Künstlereuphorie also.
    In seine Halle hineinzugehen, ist, als würde man das New York der Siebziger betreten: Siebdrucke überall, von Filmstars, Typen aus Mafia-Filmen, David Bowie, Andy Warhol etc. Auf einer Werkbank liegt ein Buch, schwerer als ein Paket Ziegelsteine, dick wie eine Hauswand.
    »Was ist das, Zhivago?«
    »Mein Buch, ›Souvenirs of God‹. Eine Hommage an Andy Warhols Magazin ›Interview‹. Schau rein.«
    Sie sind alle drin, von Zhivago aufbearbeitet, verfremdet, mit Textfragmenten aus Google und Wikipedia versehen: Colacello, Malanga, Fremont, Warhol, Bowie, Blondie ...« Viele von ihnen hat er dafür besucht und interviewt. Es ist das Amerika von früher, das gute, alte, ganz alte. Das vor Reagan, Bush, Clinton, Bush. Zhivago ist ein Fan, ein Liebender.
    »Sehnst du dich danach, Zhivago?«
    »Nach großen, legendären Gestalten? Nach Geschichten, Skandalen, Irrsinn? Ja klar! Wer nicht?«
    »Wie viel Exemplare gibt’s davon?«
    »Drei.«
    »Was kostet eins?«
    »Klären wir gerade.«
    »Eventuell will ich eins.«
    »Haha.«
    Ein paar Meter weiter wohnt Wolfgang Ganter. Er hat eine Frisur wie der ganz junge John McEnroe (Finger in der Steckdose). Im Gegenteil zu McEnroe aber ist Ganter still, ruhig, leise. Ein Apothekenschild hängt über seinem Atelier. Drinnen: seltsamer Geruch. Während die meisten Künstler »Ich arbeite gerade« sagen, müsste er »ES arbeitet gerade« sagen.
    Ganter, Typ irrer Wissenschaftler (die Art Dr. Emmett Brown aus »Zurück in die Zukunft I – III «) setzt Bakterien, Säuren, Mikroorganismen auf seinen Bildern und Fotonegativen aus. Er lässt sie besamen, bestatten, verätzen, verletzen. Emulsionen entstehen, Bilder, die ewig arbeiten sozusagen. Im Hintergrund läuft Genesis, »Invisible Touch«.
    »Sind Sie oft krank, Herr Ganter?«
    »Nie«, er grinst wieder.
    Joschi schnüffelt. Die Luft, sie scheint zu wimmeln, glimmen, schwimmen. Treten jetzt gerade Bakteriensporen in unseren Körper ein? Ist der ominöse Manalese in Wahrheit ein Terror-Islamist, der vorhat, die Welt zu vergiften wie in »Outbreak« mit Dustin Hoffman? Nichts ist sicher, alles möglich. Für wen arbeite ich eigentlich? Fluch über den Galeristen!
    »Sehr schön, Herr Ganter, besten Dank und: tschüss!« Erst dreißig Meter vom Atelier entfernt trauen Joschi und ich uns wieder zu atmen.
    »Magst du Penisse oder findest du sie lächerlich?«
    Joschi und ich stehen vor Maike Gräf. Wir erinnern uns: die Frau, die Wände hochklettern kann und Arien schmettert, wenn ihr langweilig ist.
    »Natürlich hat der Schwanzkult, dem wir uns hingeben, auch etwas Lächerliches«, sagt Gräf.
    Wir, der Hund, Gräf und ich, sind umgeben von bemalten Holzskulpturen in einer Art gigantischem Sägewerk. Die Skulpturen sind eckig, fast kubistisch, und bemalt, schwarz-weiß und neonesk. Eine zerschmetterte Melone, sehr schön. Dazu viele
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