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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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fahrenden Aurelia mit.
    »Entspann dich, wir fahren jetzt in den Wald.«
    »Soso, na denn.«
    Der Wald: wieder eine Lagerhalle, diesmal in Friedrichshain. Ein Simon Rühle kommt uns entgegen, V-Pullover, Basketballschuhe, fernöstliche Gürtelschnalle. Es ist nicht übertrieben, ihn Bombadil zu nennen, König des Waldes (Tolkien). Er hat Baum- und Knollenskulpturen um sich aufgebaut, seltsam erstarrte Comicfiguren-Totems. Man denkt: Michael Ende, Herr der Ringe, Daffy Duck und Speedy Gonzales. Sie haben leuchtende Augen und sind mit einer Mischung aus Ponal und Erde bestrichen. Es ist eine Art Comicfetisch-Kabinett; kurz habe ich das Gefühl, niederknien und beten zu müssen. War Jesus vielleicht doch ein Erdmännchen?
    Das Telefon klingelt, der Galerist.
    »Manalese war gerade dran. Er hat das Gefühl, du trödelst.«
    »Sag ihm, das soll er mir selber sagen.«

    »Wenn er das tut, ist es normalerweise zu spät für den, mit dem er redet.«
    »Manalese will mir drohen?«
    »Manalese droht nicht. Er handelt. Er ist wie ein Hai. Spaß’ nie mit ihm!«
    Sie steht schon vor meiner Wohnungstür, als ich nach Hause komme.
    »Hallo. Ich bin Gitte Jabs aus Hamburg. Manalese schickt mich.«
    »Hast du ihn gesehen, persönlich?«
    »Es wurde mir ausgerichtet.«
    Sie hat die schmutzigsten Hände, die ich je gesehen habe. Voller Pech und schwarzer Farbe. Ein kleiner Rabe.
    »Ich habe Rahmen gebaut«, sagt sie. »Große Rahmen.«
    Sie zeigt mir ihre Bilder. Naive Bilder, von Sonnenuntergängen und Segelschiffen. Ich kenne sie von irgendwoher.
    »Sie hängen bei den Simpsons an der Wand«, sagt Jabs.
    »Bei d e n Simpsons?«
    »Ja. Ich habe sie abgemalt und vergrößert.«
    »Warum, um Gottes willen?«
    »Weil sie schön sind. Weil sie Kunst sind, wie sie früher verstanden wurde. Bilder von Bildern. Weil für Landschaftsbilder heute kein Platz mehr ist. Weil die Kunstwelt sie verachtet und ermordet hat.«
    Stimmt ja: Jeder Mensch hält vor Andacht den Mund, wenn er am Strand einen Sonnenuntergang betrachtet, aber kaum einer würde sich heute noch einen an die Wand hängen. Zu einfach. Zu kitschig. Zu wenig codiert.
    »Was ist passiert mit der Kunstwelt, dass es so weit gekommen ist?«
    »Würd ich auch gern wissen«, sagt Jabs.
    Wir gehen auf meinen Balkon und denken während des Sonnenuntergangs über den Sonnenuntergang und die große Entkoppelung der Kunstwelt vom sogenannten Massengeschmack nach. Wir reden von Boheme- und Expertenzirkeln, die sich darauf geeinigt haben, was Kunst ist und was nicht. Wir entscheiden, dass diese Zirkel zerstört gehören, damit Neues geschaffen werden kann. Neues Neues oder neues Altes oder wasweißich.
    Ich gieße mir einen Gin Tonic ein. Vielleicht ist es das, was Vittorio Manalese plant: einen Umsturz, einen Aufbruch, eine Revolution, wenn auch nur eine ganz kleine?
    Zum ersten Mal seit ich für ihn arbeite, ist er mir sympathisch. Vielleicht doch kein so schlechter Kerl. Zum ersten Mal macht mir mein Auftrag Spaß. Ich bin Che Guevara, Vittorio ist Fidel Castro. Der Galerist ist Camilo Cienfuegos, der Kampfgenosse der beiden. Und Aurelia Rosa Luxemburg oder so. Bis früh in den Morgen denke ich darüber nach.
    »Vittorio will dich treffen, sofort!«, schreit der Galerist ins Telefon. Ich bin mir nicht sicher, wo ich bin. Schlafe ich noch? Wenn ja, wo? Wenn ja, wie?
    »Taxi steht vor der Tür!«, bellt es aus der Leitung.
    Ich werfe mir irgendwas über. Draußen steht tatsächlich ein Taxi. Zwanzig Minuten später halten wir vor der Lagerhalle; vor dem Schild:

    In und vor der Halle stehen Lastwagen; Träger laden Rahmen, Bilder, Schrott und Installationen ab. Dazwischen: viele der Künstler, bei denen ich in den letzten Tagen war: Yasmin Müller, Topolovac, der irre Ganter, Dereich & Steiner; Jezierski, Boschan, Gräf. Zhivago schleppt eins seiner Bowie-Bilder; Flössel denkt immer noch über Hoch- oder Querformat nach; Jabs bastelt ihre Rahmen;Rinck platziert seine Eulen. Mittendrin der Galerist. Er stellt mir Max Frisinger vor, den Einzigen, den ich noch nicht getroffen habe. Ein Schrott-Installations-Künstler aus Hamburg, den ich sofort mag. Mann des Volks, lässt sich sein gesamtes Material von Handwerkern und Ingenieuren schenken. Bestimmt ein guter Revolutionär – aber richtig auf ihn konzentrieren kann ich mich nicht. Ich denke die ganze Zeit an Vittorio Manalese, den ich gleich kennenlernen werde; an den Patron der schönen neuen Welt, die sie hier gerade bauen. Nur sehe ich ihn
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