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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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Rostock, ist Landesvorsitzender der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, dazu MDB im Direktmandat, mit 32 Prozent der Stimmen gewählt. Aufsteiger! Bockhahn (Lieblingsbuch: »Der alte Mann und das Meer«, Lieblingslied: »Losing my religion«, Lieblingsfilm: »Leaving Las Vegas«) ist einer der Typen, an denen du sofort hängenbleibst, weil er nicht nur links ist, sondern auch wach und sympathisch und schnell im Kopf und bei der Bierbestellung.
    »Warum geht einer wie du zu den Linken, du siehst doch ganz gut aus?«
    »Ich komme aus einem roten Elternhaus, fand Krieg und Militär immer doof. Und die Nazis auch.«
    »Hast du Direkterfahrungen mit Nazis?«
    »Rostock-Lichtenhagen 1992. Und das war nicht das einzige Mal.«
    »Sauer wegen Nordrhein-Westfalen?«
    »Nö, das haben wir von der SPD so erwartet.«
    »Was nervt an Deutschland?«
    »Die Reichen zahlen nicht genug Steuern.«
    »Muss die Deutsche Bank verstaatlicht werden?«
    »Warten wir’s ab. Fakt ist, dass sie von der Gesellschaft profitiert und davon so gut wie nichts zurückgibt.«
    »Demokrat, der Herr?«
    »Natürlich!«

    »Sozialist, Monsieur?«
    »Auch! Aber demokratischer, nicht stalinistischer.«
    »Gibt’s zwei größere Widersprüche als Demokratie und Sozialismus?«
    »Ja: Faschismus und Menschenwürde.«
    »Jetzt vergleichen wir gerade den siebten Kreis der Hölle mit dem achten, non?«
    »Einen Bauplan hab’ ich auch nicht. Aber VERSUCHEN , eine andere Gesellschaft aufzubauen – das müssen wir, weil diese nicht gerecht ist. Es geht nicht an, dass im Osten geringere Löhne und Renten gezahlt werden; es geht nicht, dass die Bürger für die Spekulationen der Banken zahlen.«
    Bei Bockhahn oder seinem Generationsgenossen Jan Korte aus Bitterfeld, der auch angereist ist, werden die unterschiedlichen Triebfedern klar, die in der Linken wirken: Das sozialistische Weltbild der Jungen speist sich nicht so sehr aus einer Ehrenrettung der DDR , politisiert wurden sie vor allem durch einen ausgeprägten Antifaschismus. Korte zum Beispiel war einer der Hauptakteure, als Die Linke im Bundestag den Antrag stellte, die sogenannten »deutschen Kriegsverräter« zu rehabilitieren, die unter Hitler zu den Alliierten übergelaufen waren und bis 2009 ungeheuerlicherweise als vorbestraft galten. Kann man nur gut finden, Kortes Engagement, und auch sonst sagt er richtige Sachen zu Datenschutz und Internet.
    Die Parteiälteren dagegen wirken oft so, als wollten sie vor allem etwas Sozialistisches ins Staatsgefüge einschreiben, damit etwas von ihnen überlebt. Ihre Wähler, die von Westdeutschland tatsächlich in vielen Punkten erniedrigten und beleidigten Ossis, hängen dazwischen ein bisschen in der Luft, wie Marionetten, die an dem kleben bleiben, der ihren Namen nicht gleich wieder vergisst. Es ist das große Versagen der etablierten Parteien, sich nicht um sie gekümmert zu haben; völlig zu Recht werden sie dafür bei den Wahlen bestraft.

    Es ist kurz vor zehn am Pfingstsonntag, als Gesine Lötzsch auf dem Gelände erscheint; sie trägt eine Art Zebrakleid zu einer Art Zebraturnschuhen, sie wirkt frisch geduscht und nicht unsympathisch. Weil’s noch so früh ist und die Linken gestern alle bei DJ Ecco waren, wird sie nur vor etwa sechzig Leuten zu den ewigen Debatten um Unrechtsstaat – DDR Ja/Nein, Irgendwie Neuer Sozialismus/Alter Sozialismus, Afghanistan Ja/Nein etc. referieren.
    »Schöne Buttons haben Sie da!«, lobt Lötzsch mich, als sie zum Redepult geht.
    Den einen halte ich ihr ins Gesicht: »Revolution – meinen Sie das eigentlich ernst?«
    »Ja klar!«
    »Und wie soll die aussehen?«
    Sagt Lötzsch in der Kürze nicht, dafür lädt sie ein zum »Neptunfest«, einem alten DDR -Ostsee-Spiel, bei dem die Kinder eine Art Taufe vom Meeresgott Neptun bekommen. Ein paar auf Seewesen geschminkte Jungs mit Keulen und Dreizack besetzen die Strandwiese, verlesen Namen von Kindern, die sich irgendwie gegen Neptun versündigt hätten (ins Wasser gepinkelt oder so), und schicken Häscher los, um die Kinder zu fangen.
    Es ist ziemlich lustig, bis genau zu dem Zeitpunkt, als Neptuns Assistent die Kinder mit »Knie nieder!« anbrüllt, und die Häscher deren Köpfe ins Gras drücken, um Neptuns Flossen zu küssen. Da wird’s irgendwie seltsam autoritär und demütig. Ein paar Kinder wollen auch gar nicht.
    »Wer hat das Spiel erfunden – Mielke?«, frage ich einen Typen neben mir. Er versteht nicht.
    »Wie früher!«, jubelt jemand.

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