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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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Manalese?
    Ich stand auf dem Balkon, als der Galerist anrief. Die Sonne ging gerade unter, das Licht brach sich in Schlieren, Staub lag in der Luft. Irgendwo war ein Vulkan ausgebrochen. Den Galeristen interessierte das nicht. Er redete so, wie er immer redete:
    »Und?«
    »Ja.«
    »Gut. Ich mach’ ne neue Galerie, mit fünfzehn Künstlern, die keiner kennt. Geheimsache noch. Du besuchst die, schreibst das auf, machst Fotos, gibst das ab.«
    »Fünfzehn neue Künstler? Du bist irre. Warum überhaupt?«
    »Brauch Frischfleisch.«
    »Mach ich nicht.«
    »Machst du doch. Oder verdienst du grad so viel, dass du das Geld nicht brauchst?«
    Ich dachte an die Wohnung, die Scheidung, die Schulden, die Reise nach Scopello, den vierzigsten Geburtstag, den Hund, der mir gerade zugelaufen war. Jana liebte diesen Hund. Ein schwarzer Mischling, Joschi Corleone. Corleone stand vor mir, wedelte mit dem Schwanz, bellte. Diese Hunde haben immer Hunger, und die kleinsten den größten.
    »Ich mach’s.«
    »Komm morgen vorbei«, sagte der Galerist und legte auf, so wie er immer auflegt. Corleone bellte.

    steht auf dem Schild der Lagerhalle in Charlottenburg. Davor steht der Galerist, klein, unter Strom, wie immer. Neben ihm: eine Rothaarige.
    »Soso«, sage ich. »Du verkaufst jetzt also auch Flipper und Spielautomaten. Ist die Krise so schlimm? Ist echt alles vorbei?«
    »Ich verkaufe Kunst«, sagt der Galerist, klein, unter Strom, wie immer.
    »Das ist die neue Galerie«, sagt die Rothaarige.
    »Und du bist Vittorio Manalese?«
    »Nein. Ich bin Aurelia und kuratiere die ganze Sache.«
    »Sie hat alle ausgesucht. Sie ist der Spürhund«, sagt der Galerist.
    »Und wer ist Vittorio Manalese? Der Geldgeber? Der Mann mit dem Koks? Die Mafia? Irgend so ein Arsch aus Amerika?«
    »Das erfährst du schon noch. Stell nicht so viele Fragen!«
    Wir gehen rein.
    Ein großer, heller Raum. »Hier kommt was an die Decke«, sagt der Galerist und zeigt nach oben. »Und hier, hier häng ich drei Riesensiebdrucke hin, da fällst du um. Dahinten: Schrott, ganz viel Schrott. Da und da und da: Bilder!«
    Der Galerist tanzt und vibriert vor Erregung. Diese Aurelia auch. Sie geben mir eine Bionade und drücken mir einen Zettel in die Hand. Darauf Namen.
    »Die besuchst du«, sagt der Galerist und verschwindet.
    »Au revoir«, sagt Aurelia.
    »Philip Topolovac« lautet der erste Name auf der Liste. Wer das ist, was er tut, wo er herkommt? Keine Ahnung. Ich mache hier nur einen Job.

    Ich treffe ihn in einem Café am Ufer, Kreuzberg. Er trägt Bart, einen langen Mantel, läuft auf Krücken. Wie so ein Typ aus einem Fritz-Lang-Film.
    »Was ist mit deinen Beinen los?«
    »Kniesache.« Topolovac holt eine Mappe heraus, schlägt sie auf. Schwarz-Weiß-Fotos, von Bergen oder so was. Er sieht mich an, erwartungsvoll. Ich verstehe nichts.
    »Die Alpen?«
    »Berlin«, sagt er. Und schweigt.
    Ich blättere die Mappe durch. Topolovac hat Baugruben, Schuttberge und Müllhalden so fotografiert, dass sie wie Landschaftsbilder aus dem 18. Jahrhundert wirken. Auf anderen Bildern sind schwarze Industriegewächse zu sehen, die aus den Wänden in Räume hineinzuwuchern scheinen wie gigantische Industriegeschwüre. »Alien«, »Blade Runner«, »Spider-Man III « kommen mir in den Sinn.
    »Warum?«, frage ich.
    »Strukturen und Systeme«, sagt Topolovac. »Inneres und Äußeres. Alles frisst sich fort, macht weiter, auf ewig. So ist es.«
    Ich nicke. Topolovac ist mir ein bisschen unheimlich. Wachsen gerade Heizungsleitungen aus seinen Augen?
    »Lass uns ein Foto machen.« Wir gehen auf eine Brücke, ich drücke ab.
    »Eins noch«, fragt Topolovac zum Abschied. »Wer ist dieser Vittorio Manalese, bei dem die Ausstellung stattfindet? Noch nie von ihm gehört, nirgends.«
    »Wüsst ich auch gern«, sage ich.
    »Madeleine Boschan« ist der zweite Name. Sie wohnt nicht weit von mir. Ich steige aufs Fahrrad und nehme Joschi Corleone mit. Er freut sich, mal wieder rauszukommen.
    Das Atelier befindet sich im Erdgeschoss eines Hauses in Neukölln. Der Teil, über den man nichts in der »Zitty« und im »Tip«liest, wenn es um neue, lässige Wohngegenden geht. Der Teil, in dem es nach billigen Scheuermitteln und Sagrotan riecht.
    Vor dem Haus: Schrott. Bretter, Blech, Rohre, kaputte Stühle. Im Haus: auch, denke ich, als ich den Raum betrete. Aber nur kurz. Dann beginnt das Zeug zu leben.
    Boschan, schmal, in Schwarz, mit Kaffeetasse und Zigarette in der Hand, hat aus Dingen, die sie
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