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Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Titel: Die Rückkehr der Karavellen - Roman
Autoren: Luchterhand
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Meeren erlebten. Fast alle waren in Panik geflüchtet, aus Angst vor dem Kommunismus, vor den Russen, den Kubanern, vor der MPLA, ihrer Gegenbewegung União Nacional para a Independência Total de Angola (UNITA) oder ganz allgemein vor den »triumphierenden
Wilden, die mit dem Maschinengewehr die kleinen Fenster der Fassaden zersplitterten«.
    Der Großteil von ihnen hatte alles zurückgelassen und fand, meist jeglicher Mittel beraubt, eine provisorische Unterkunft in nun leerstehenden Hotels und Pensionen, die ein zu diesem Zweck eilig ins Leben gerufener Fonds ihnen zugeteilt hatte. Die Zahlungskräftigen unter den Touristen waren in jenem »heißen Sommer« angesichts der »drohend bevorstehenden Machtergreifung der kommunistischen Partei in Portugal« zum Glück ohnehin ausgeblieben.
    Das Gepäck unzähliger retornados lagerte über Kilometer verstreut am Ufer des Tejo-Flusses, unweit des Viertels Belém, wo der Turm mit demselben Namen an den Aufbruch der Flotte Vasco da Gamas erinnert und wo König Manuel I. wenig später das berühmte Hieronymitenkloster als Dank für die geglückte Seefahrt nach Indien errichten ließ.
    Die bodenständige Bevölkerung war diesen unerwünschten Heimkehrern meist nicht gerade freundlich gesinnt, und nicht nur deswegen fühlten sich viele retornados fremd in einem Land, dessen neue Regierung sie ihrerseits zum Großteil für das erlittene Desaster verantwortlich machten. Mit Portugal hatten diese weißen Afrikaner (und noch weniger Schwarze, Mulatten aus Angola und Inder aus Moçambique) jedenfalls nichts am Hut. Und sie konnten in der damaligen Gesellschaft, welche in revolutionärem Eifer und sozusagen über Nacht alles über Bord geworfen hatte, was jahrhundertelang ihre offizielle und inoffizielle Legitimation gewesen war, vorläufig keinen Platz finden.
    In Lobo Antunes’ Roman ist diese reale Ebene zunächst der Ausgangspunkt und wird besonders deutlich in den Episoden
mit dem namenlosen Ehepaar, das nach einer über fünfzigjährigen Existenz in Guinea-Bissau ebenso bitterarm zurückkehrt, wie es ursprünglich dorthin gezogen war. Wenn das Paar zunächst im Luxushotel Ritz mitten im Lissabonner Stadtzentrum logieren darf, um im Herbst in den feuchttriefenden und nebelkalten Ort Ericeira umgesiedelt zu werden, so entspricht das ebenso der Realität wie die Ermahnungen, in den Hotelzimmern keine Sardinen zu braten oder aus Vorhängen keine Kleider zu schneidern, die ihnen die »göttliche, ungeheure, autoritäre, pompöse Stimme« des Leutnants predigt, der seinen Mund plötzlich mit bis dato verpönten Worten wie Demokratie und Sozialismus allzu voll nimmt.
     
    Eine zweite Ebene ist von Anfang an die historische, oder besser gesagt fiktiv-historische, welche nicht nur permanent um Symbole aus dem glorreichen Zeitalter der Entdeckungen kreist, sondern in ebenso realen wie barocken Bildern fünfhundert Jahre portugiesischer Geschichte durcheinanderwirbelt.
    Indem er den retornados des 20. Jahrhunderts Namen gibt, die an die großen Helden von früher erinnern, reißt der Autor diese zunächst von jenem Sockel, auf den sie eine pathetische Geschichtsschreibung in unermeßliche Distanz gerückt hatte. So kehrt Vasco da Gama aus Angola zurück, um im heimatlichen Vila Franca de Xira unweit von Lissabon wieder den Beruf eines Schusters auszuüben und für den Rest seines Lebens Karten zu spielen. Doch der adelige Entdecker Indiens holt ihn nach und nach ein, und er folgt dem Ruf an den Hof des Königs Manuel, der im Lissabon
des 20. Jahrhunderts mit einer Krone aus Blech und einem gelbgestrichenen Rohr als Szepter das vermeintlich noch immer ihm gehörende Land regiert.
    Da ist, stellvertretend für alle Pioniere unter den Seefahrern, jener legendäre Diogo Cão, der 1482 das Delta des Zaïreflusses erreichte, von wo er wenige Jahre später flußaufwärts in das sagenhafte Reich des Königs vom Kongo gelangte, um dort jene ersten friedvollen Kontakte zwischen Europäern und Afrikanern zu knüpfen, die sich später als so verhängnisvoll erwiesen. Das grandiose Scheitern des Diogo Cão vollzieht Lobo Antunes symbolisch nach, indem er diesen einstigen Bezwinger unbekannter Meere, den Körper von Skorbut und Alkohol und die Seele von maritimen Illusionen zerfressen, durch die Kneipen eines postrevolutionären Lissabon treiben läßt, bis ihn seine frühere angolanische Geliebte, eine alternde Prostituierte, in der »Metropole«, wo sich niemand mehr an den Namen Diogo Cão
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