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Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Titel: Die Rückkehr der Karavellen - Roman
Autoren: Luchterhand
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»Wahrheiten ohne rhetorische Farben zu vermitteln, denn die Wahrheit zeichnet man nackt«. Und nicht nur weil er in diesem Zusammenhang mitunter medizinische Erkenntnisse von Arabern gegen Fehlurteile von Christen verteidigte, holte ihn die Inquisition posthum ein: Da ihr sein lebendiges Fleisch entkommen war, ließ sie wenigstens seine Gebeine in Goa verbrennen.
    Bei Lobo Antunes gabelt ein vom Leben verbitterter Garcia da Orta den »Mann namens Luís« am Bahnhof Santa Apolónia auf, um ihn kurz darauf in seine Wohnung mitzunehmen, wo verschiedene fleischfressende Pflanzen da Orta endlich von der Last seiner Familie befreien. Nach einer gemeinsamen Tour durch verschiedene Kneipen findet Luís sich plötzlich wieder allein auf dem Platz, in dessen Mitte sich die Statue des Dichters Luís de Camões erhebt, mit dem er ja so viel gemeinsam hat: Auch ihm fehlt das linke Auge, und er schreibt wie besessen an einer unendlichen Anzahl achtzeiliger Strophen, die die großartigen Entdeckungen der Lusitanier erzählen und Die Lusiaden heißen. Deren Bilder, im Roman in fremder Umgebung verzerrt, werden, gleichsam als Residuen früheren Geschichtsunterrichtes, immer wieder an die Oberfläche gespült: Ein
anachronistisch gewordener König Manuel hofft, daß Vasco da Gama noch einmal nach Indien fahren möge, um auf der »Liebesinsel« (IX. Gesang) von einem »Schwarm unersättlicher Nymphen« endlich erschöpft zu werden. Oder Diogo Cão überwacht den Aufbruch moderner Liebesgöttinnen in Lamettakostüm, das an Schuppen von Sirenenschwänzen erinnert, weshalb sie denn auch Tagiden heißen, wie die Nymphen des Tejo bei Camões. Oder Pedro Álvares Cabral, nach Fernando Pessoa der »Entdecker wider Willen« Brasiliens, träumt von einer Heimkehr mit Segelschiffen unter einem von schweren Gewitterwolken verhangenen Himmel, aus dem jener Riese Adamastor ragt, der für alle Ewigkeit in das Kap der Guten Hoffnung verwandelt wurde, umspült von den Wellen seiner Angebeteten (v. Gesang).
    Das Nationalepos der Portugiesen und berühmteste Werk ihrer Literatur, Quelle unzähliger Zitate und souffre-douleur späterer Schüler, die es strophenweise auswendig lernen mußten, hatte der Dichter einst dem jungen König Sebastian gewidmet, bevor dieser in den Kampf gegen die Heiden nach Nordafrika zog. Und deswegen ist es nur recht und billig, daß er dem »Mann namens Luís« jetzt auf dem Platz mit dem Camõesdenkmal erscheint, »umringt von Günstlingen, Erzbischöfen und Vertrauten zu Pferde, angetan mit einer bronzenen Rüstung und einem Helm mit Federbusch«, bis er schließlich »auf dem Weg nach Alcácer Quibir« endgültig aus seinem Gesichtsfeld verschwindet. Der noch nicht achtzehnjährige König, dessen Leiche nach der verheerendsten Schlacht der portugiesischen Geschichte nie gefunden wurde, nährt seither deren größten Mythos, er werde dereinst wiederkommen und Portugal erlösen.

    Wenn am Ende des Buches die schlafwandlerische Schar der nun in einer zweckentfremdeten Tuberkuloseklinik untergebrachten retornados, darunter der »Mann namens Luís«, sich am Strand von Ericeira versammelt und vergeblich darauf wartet, daß König Sebastian, wie es ein eindrucksvolles Bild dieses Mythos will, auf einem Schimmel den Wellen des Meeres entsteigt, so ist es nach Lobo Antunes endgültig vorbei mit jeder Art von Sebastianismus. Deshalb transferiert der Autor seinen Sebastian in die Gegenwart und verwandelt jene, nach manchen Historikern durchaus negativen Züge des »blonden Jünglings« in die Variante eines im zeitgenössischen Portugal akuten Problems, indem er ihm die Gestalt eines jungen Drogensüchtigen verleiht, der nach Tanger fährt, um sich dort Stoff zu besorgen, wobei er nach einem Streit mit der »Schwuchtel Oscar Wilde« während einer Messerstecherei ums Leben kommt.
     
    Indem er Personen, Orte und Gegenstände aus den verschiedensten Zeitepochen miteinander verbindet, schafft Lobo Antunes jene halluzinatorische Atmosphäre, in der nichts mehr an seinem sicheren Platz verweilt. In einem Lissabon, wo sich Straßenbahnen und Taxis, Automobile und Fahrräder mit vergoldeten Kutschen und Kaleschen, die geradewegs aus dem prächtigen Lissabonner Kutschenmuseum zu kommen scheinen, nebeneinander tummeln, begegnen den Heimkehrern seltsame Prozessionen von Flagellanten. Die Schergen der Inquisition, die Köpfe in Kapuzen verborgen und riesige Kruzifixe auf der Brust, haben gerade wieder einmal António José da Silva
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