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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope
Autoren: Henning Mankell
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ist. Es ist kein natürliches Verhalten, Tiere in Friedhofsmauern zu ritzen. Hat er sich geschnitten, damit er an das Blut kam?
    - Ich glaube, er hat es ausgehustet, sagte Edvin.

    - Er sehnt sich zu Tode, sagte Alma bestimmt. Was hat er bei den Geisteskranken verloren?
    - Davon verstehst du nichts. Du hörst, was der Pastor sagt, entgegnete Edvin.
    Hallen versuchte Daniels Blick aufzufangen. Aber seine Augen wichen immer aus. Jedesmal, wenn er Daniel ansah, befiel ihn das unangenehme Gefühl, da wäre etwas, was er verstehen müßte, was ihm aber entging. Der Junge, der da im Heu lag, hatte eine Botschaft für ihn, die er nicht entschlüsseln konnte.

    - Es versetzt die ganze Gegend in Aufruhr, daß er in die Mauer ritzt und mit Blut herumschmiert, sagte Hallen. Wenn es noch einmal passiert, müssen wir wohl in Betracht ziehen, ihn nach Lund ins Sankt Lars zu bringen.
    - Ist das eine Kirche? fragte Alma.

    - Du weißt doch, daß es das Irrenhaus ist, sagte Edvin.
    - Bei diesen Menschen hat er nichts verloren.

    Sie ließen ihn im Stall sein. Die Magd, die seit Vanjas Tod allein geblieben war, ging zwischen den Kühen herum und weinte. Daniel dachte an Sanna. Er konnte immer noch nicht verstehen, wie sie ihn hatte verraten können. Mit ihr hatte er Freude empfunden, und sie hatte ihm etwas von ihrer Wärme abgegeben. Aber sie hatte sich verstellt, war nicht die gewesen, die sie eigentlich war. Sie hatte sich genauso verhalten wie der Mann, der sie geschlagen und an den Haaren geschleift hatte.
    Er lag bis tief in die Nacht und versuchte zu verstehen, warum sie auf diese Weise gehandelt hatte. Das Essen, das Alma ihm brachte, rührte er nicht an.
    - Ich will nicht, daß du gefesselt wirst, sagte sie. Ich will nicht, daß du bei den Irren landest. Kannst du nicht darauf verzichten, heute nacht zur Kirche zu gehen?

    Daniel antwortete nicht. Aber als Edvin hereinkam, sagte sie, Daniel hätte es versprochen. Er würde in der Nacht nicht nach draußen gehen.

    - Wir könnten natürlich den Knecht hier drinnen schlafen lassen, sagte Edvin. Oder ich kann selber hier bleiben.

    - Das ist nicht nötig. Er geht nicht nach draußen. Edvin schüttelte den Kopf.
    - Der Knecht hat gesagt, daß Amman ein paar von seinen Jungens bei der Kirche postiert hat.
    - Der Mann ist widerlich. Er hat ihnen bestimmt aufgetragen, ihn zu verprügeln. Falls er da auftaucht.
    - Wenn man ihn nur verstehen könnte. Er sieht etwas, was wir nicht sehen. Er ist wieder von all diesen Menschen umgeben. Sie sind da, ich spüre es.
    - Niemand will dich ins Irrenhaus stecken, erwiderte Alma. Aber ihn willst du da sehen?
    - Ich versuche nur, ihn zu verstehen. Nichts weiter. Es ist, als würde er eine Geschichte erzählen. Manchmal kommt es mir so vor, als würde sich all dieser Lehm in Sand verwandeln. Und als würde es warm werden. Aber dann ist es wieder fort.

    Daniel hörte zu, was sie sagten. Mittlerweile verstand er das meiste von ihrer Sprache. Aber seine alte Sprache hatte sein Bewußtsein jetzt fast völlig wieder besetzt. Alma legte ihm die Hand auf die Stirn.

    - Er ist ganz heiß, sagte sie. Ich verstehe nicht, wieso Doktor Madsen nichts tun kann. Er kann doch nicht Fieber davon bekommen, daß er Heimweh hat?
    - Es ist der Husten, sagte Edvin. Das weißt du genausogut wie ich. Und dagegen kann man nichts tun.

    - Ich will nicht, daß er stirbt, sagte Alma. Ich will, daß dieser Mann namens Bengler zurückkommt und ihn nach Hause holt.

    Sie ließen Daniel allein. Die Kühe bewegten sich träge in ihren Verschlägen. Eine Maus raschelte in einer Ecke. Eins von den Hühnern flatterte auf. Daniel dachte fortwährend an Sanna. Schließlich war es, als bliebe nur eine einzige Möglichkeit. Eine einzige Erklärung für ihren Verrat. Sie war ein böser Geist. Wer sie geschickt hatte, um ihn zu vernichten, darauf hatte er keine Antwort.

    Er schlummerte ein, und im Traum sah er Sanna zwischen den schwarzen Vögeln in einem Baum draußen auf dem Acker sitzen. Erst dachte er, es sei Be, die dort wartete, um mit ihm wegfliegen zu können. Aber dann sah er, daß es Sanna war, und daß schwarzer Ruß aus ihren Nasenlöchern quoll.
    Mit einem Ruck wachte er auf und dachte über das nach, was er geträumt hatte. Wer auch immer Sanna seinen Weg hatte kreuzen lassen, hatte es getan, um Be und Kiko daran zu hindern, ihn zu holen. Plötzlich war es, als stünde ihm alles klar vor Augen. Solange es Sanna gab, würde er nicht zurückkehren können. Es war nie so
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