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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope
Autoren: Henning Mankell
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gedacht gewesen, daß er lernen sollte, wie man auf dem Wasser geht, oder daß er den langen Weg zurück auf einem Schiff mitfahren sollte. Be und Kiko waren ganz nahe bei ihm.
    Trotzdem war er unsicher. Er war zu klein, um alles über die bösen Geister zu wissen, die mitunter von den Seelen der Menschen Besitz ergriffen. Ihm blieb nur eins zu tun. Er mußte versuchen, Sanna dazu zu bringen, daß sie ihm verriet, wer sie eigentlich war und wer sie geschickt hatte.

    Daniel glitt zwischen Schlaf und Wachen hin und her. Ein paarmal streckte er sich nach dem Becher mit Wasser, den Alma immer neben ihm hinstellte.

    In der Morgendämmerung aß er den Napf leer, den er am Abend zuvor unberührt gelassen hatte. Wenn er es schaffen wollte, herauszufinden, wer Sanna wirklich war, mußte er essen, um die nötige Kraft zu schöpfen.

    Er brauchte mehrere Tage und Nächte, um darauf zu kommen, wie er es anstellen sollte. Er suchte in der Erinnerung nach all dem, was Kiko ihm erzählt hatte: darüber, wie man böse Geister aufspürte, ähnlich wie man es mit Tieren machte.
    Schließlich fand er die Lösung.

    In seinem Mantel hatte er noch den Holzspan, den er aus dem Knie der Jesusfigur gezogen hatte.

    In der folgenden Nacht würde er seinen Plan ins Werk setzen. Wie um ihn davon zu überzeugen, daß er jetzt richtig handelte, daß er verstanden hatte, welche unsichtbaren Kräfte ihn daran hinderten, in die Wüste zurückzukehren, sank das Fieber auf einmal. Allerdings hustete er immer noch Blut. Aber Doktor Madsen, der zu Besuch kam, sagte zu Alma, er könnte vielleicht doch noch gesund werden.

    Es ging kein Wind, als Daniel den Stall verließ. Er blieb auf dem Hof stehen und lauschte. Alles war still. Er hatte eine der Lampen mitgenommen, die Edvin jeden Abend im Stall anzündete. Er hatte sie gelöscht, hatte aber Streichhölzer bei sich.

    Als er beim Hügel ankam, blieb er stehen und lauschte. Er sperrte die Nasenlöcher auf, wie er von Kiko gelernt hatte, daß man es tun mußte, um Witterung zu bekommen. Sanna verbreitete oft einen schlechten Geruch. Sie war schmutzig, und aus ihren Kleidern roch es säuerlich. Aber er fing nichts davon auf. Vorsichtig schlich er auf den Hügel, zündete die Lampe an und schraubte die Flamme herunter. An der Stelle, an der Sanna meistens saß, entweder regungslos mit geschlossenen Augen, oder sich ungeduldig wiegend und im Lehm stochernd, steckte er den Holzspan in die Erde. Dann machte er es genauso, wie Kiko es ihm beigebracht hatte, er ahmte eine Hyäne nach und lachte ins Dunkel hinaus. Hyänen folgten immer den Spuren des Todes, sie fraßen nicht nur Tierkadaver, sondern scharrten auch Menschen aus, die begraben waren. Auf diese Weise nahmen sie die Geister der Menschen in sich auf, die bösen ebenso wie die guten. In seiner eigenen Sprache flüsterte Daniel die Worte, auf die es ankam: daß in dem Holzspan ein Geist wohnte, der Daniel in die Wüste zurückbringen konnte. Dann löschte er die Lampe und kehrte in den Stall zurück.
    Am Morgen, als er aufwachte, stand der Knecht da und sah ihn an.
    - Jemand hat heute nacht gelacht, sagte der Knecht. Es klang wie ein Schwein, aber auch wie ein Mensch. Das mußt du gewesen sein.
    - Nein, sagte Daniel. Das war ich nicht.

    Der Knecht starrte ihn an. Dann lief er los und holte Alma und Edvin.
    - Ich habe ihn gehört, sagte er aufgeregt. Ich habe ihn sprechen gehört.
    - Was hat er gesagt?

    - »Nein. Das war ich nicht.«
    - Sonst nichts?
    - Nein.

    Alma hatte sich neben Daniel hingehockt.
    - Hast du wirklich wieder angefangen zu sprechen? Aber Daniel blieb stumm. Alma fragte noch einmal.
    - Es hat keinen Zweck, sagte Edvin. Der Knecht muß sich das eingebildet haben.

    - Ich habe gehört, was ich gehört habe. Edvin stieß ihn in die Seite.

    - Die Arbeit wartet.

    Am Nachmittag kroch Daniel an der Rückseite des Stalls durch ein Loch in der Wand. Bevor er losging, hatte er das abgebrochene Sichelblatt in die Tasche gesteckt. Er duckte sich, während er über die Äcker lief. Eine Nebelbank hüllte die Landschaft langsam in Weiß. Er merkte, daß sein Herz schneller schlug, als er sah, daß Sanna oben auf dem Hügel saß und im Lehm grub. Als sie ihn bemerkte, freute sie sich. Sie sprang auf und griff nach ihm. Daniel sah, daß sie genau an der Stelle grub, wo er den Span hingetan hatte. Es gab keinen Zweifel mehr. Er konnte spüren, daß sie wie ein Tier roch, ihre Kleider waren wie ein Fell, und wenn sie lachte, war es ein Tier, kein
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