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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope
Autoren: Henning Mankell
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könnten.

    Der Husten hatte sich seit der großen Anstrengung, Sannas Körper durch den Lehm zu schleifen, verschlimmert. Das Fieber kam in Wellen und machte ihn müde. Er schlief viel in dieser letzten Zeit.

    Als er die Augen aufschlug, nachdem er eines Nachmittags eingeschlummert war, stand Doktor Madsen vor ihm. Er lächelte. In der Hand hielt er einen Brief.
    - Dein Vater hat von sich hören lassen, sagte er. Es ist ein
    Brief für dich gekommen, mit dem Poststempel von Kapstadt.
    Daniel hatte fast keine Erinnerungen mehr an den Mann, den er Vater genannt hatte. Sie waren weggesunken und hatten sich in verschwommene Luftspiegelungen verwandelt. Nur mit größter Mühe konnte er sich sein Aussehen vergegenwärtigen. Seine Stimme war ihm schon völlig abhanden gekommen. Die Bilder in seiner Erinnerung waren schattenhaft.
    - Er hat an mich geschrieben und mich gebeten, dir den Brief vorzulesen.
    Hinter Doktor Madsen standen Edvin und Alma. Sie hielten einen gewissen Abstand, als flöße ihnen der Brief großen Respekt ein.
    Doktor Madsen las:

    An meinen Sohn Daniel im weit entfernten Schweden.
    Ich denke an dich immer als Daniel Bengler. Manchmal kommt mir in den Sinn, daß der Name eher zu einem erwachsenen Mann paßt. Aber welche Nachnamen sind eigentlich für ein Kind geeignet? Ich befinde mich jetzt in Cape Town, der Stadt, wo du und ich unsere Reise begonnen haben. Erinnerst du dich? Der hohe Berg, der aussah wie ein Tisch? Der Tag, an dem wir am Strand entlanggingen und Delphine im Meer springen sahen? Die Reise hierher hat lange gedauert, da ich in einem miserablen Wagen fast quer durch Europa gefahren bin, um in einer französischen Stadt, die Marseille heißt, ein Schiff zu nehmen. Ich bin jetzt seit vier Monaten in Cape Town. In der ersten Zeit lag ich krank zu Bett. Ich hatte etwas gegessen, das meinen Magen lange Zeit plagte. Während mehrerer Wochen fürchtete ich, die Krankheit würde mich bezwingen. Aber jetzt bin ich wieder gesund. Bald werde ich alle notwendigen Vorbereitungen getroffen haben, um in die Wüste zurückzukehren. Diesmal werde ich jedoch weiter nach Nordosten reisen.
    Dort gibt es große Gebiete, die wenig bekannt sind, und ich hoffe natürlich, daß ich Insekten finden werde, die ich später mit Vergnügen den Menschen in Schweden zeigen kann. Meine Abreise geschah überstürzt, ich weiß. Doch es war notwendig. Aber jetzt ist alles gut. Wann ich wieder nach Hause komme, weiß ich nicht. Vater.

    - Ein feiner Brief, sagte Doktor Madsen, als er fertig gelesen hatte und das Papier wieder in den Umschlag steckte.
    - Er fragt mit keinem Wort danach, wie es um den Jungen steht, sagte Alma empört. Er fragt nicht einmal, wie es ihm geht.
    - Aber jetzt wis sen wir wenigstens, daß er am Leben ist, sagte Edvin. Das wußten wir vorher nicht. Jetzt wissen wir, daß es lange dauern wird, bis er zurückkommt.
    Doktor Madsen legte den Brief neben Daniels Kopf ins Heu.

    - Ein sehr feiner Brief, wiederholte er.
    Dann drückte er seine Hand gegen Daniels Stirn. Er sah ihm in die Augen und horchte an seiner Brust. Es rasselte bei jedem Atemzug.
    - Das Beste wäre natürlich gewesen, wir hätten ihn in ein Sanatorium bringen können, sagte er zu Alma und Edvin, nachdem er die Untersuchung beendet hatte. Aber daran ist nicht zu denken.

    - Wenn es gut für ihn wäre, verkaufe ich die Pferde, entgegnete Edvin bestimmt.

    Doktor Madsen schüttelte den Kopf.
    - Geld können wir immer auftreiben, sagte er. Viele Leute lassen sich zu Tränen rühren von einem schwarzen Kind, das krank ist. Außerdem hat er den König getroffen. Aber es geht nicht um Geld. Es geht darum, daß er es nicht überstehen würde, noch einmal an einen Ort verpflanzt zu werden, wo ihm alles fremd ist.
    Doktor Madsen betrachtete Daniel, der im Heu lag.
    - Er sollte natürlich drinnen im Haus schlafen, sagte er. Die Ausdünstungen der Tiere sind vielleicht nicht gefährlich. Aber sie sind auch nicht gut für die Gesundheit. Außerdem sollte er eine Kost bekommen, die nur aus Eiern und Milch besteht.

    - Es wäre leichter, die Tiere ins Haus umzusiedeln, sagte Edvin. Er wird hier bleiben, was immer wir tun. Und ich weigere mich, ihn festzubinden.

    - Sie sollten sich die Sache trotzdem überlegen, sagte Madsen und ging.

    Daniel hörte, wie das Gespräch draußen auf dem Hof fortgesetzt wurde. Er nahm den Holzschuh, den er hinter dem Kopf versteckt hatte, und schnitzte weiter. Das Holz war hart, und sein Arm ermüdete schnell. Die
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