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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope
Autoren: Henning Mankell
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bringen, daß er ihn in Ruhe ließ, sei, auf seine Fragen zu antworten.
    - Nein.

    - Ihr habt euch nicht getroffen?
    - Nein.

    - Weißt du, ob Sanna sich manchmal mit jemandem traf, der nicht aus dieser Gegend war?
    - Nein.

    - Hatte sie vor jemandem Angst? Ich spreche nicht von ihrem Stiefvater, vor ihm hatte sie eine Todesangst. Das weiß ich. Aber er hat es nicht getan. Ihn habe ich hart ins Verhör genommen, und er kann in allen Punkten Rede und Antwort stehen. Jemand anderes?

    - Nein.
    Der Mann strich sich mit einer Hand über den kahlen Schädel, ohne Daniel aus den Augen zu lassen.
    - Ihr habt versucht, euch aus Schweden abzusetzen, sagte er. Daß du zurück nach Afrika wolltest, kann ich verstehen. Die Frage ist nur, wie du Sanna herumgekriegt hast, mit dir zu kommen. Oder war es so, daß sie vor jemandem davonlaufen wollte, der ihr Angst machte?
    - Er zog sie an den Haaren.
    - Wer.
    - Ihr Stiefvater.
    Der Mann schüttelte nachdenklich den Kopf.

    - Da stimmt etwas nicht, sagte er. Ihr kommt zurück. Und plötzlich ist da jemand, der sie tötet.

    Rasch erhob er sich von dem Melkscheme l.
    - Wir werden ihn kriegen, sagte er und lächelte. Ein Mann, der ein solches Verbrechen begeht, darf nicht auf freiem Fuß bleiben.

    Edvin begleitete den Mann hinaus. Daniel wurde plötzlich von einer großen Müdigkeit befallen, die ihn fast gewaltsam in den Schlaf drängte. Er versuchte dagegen anzukämpfen, doch es gelang ihm nicht.

    Als er ein paar Stunden später erwachte, hatte er hohes Fieber. Das Herz schlug sehr schnell, er war verschwitzt und mußte die Augen zusammenkneifen, um Alma zu erkennen, die ihn besorgt betrachtete. Hinter ihr stand Edvin zusammen mit dem Knecht.

    Alma beugte sich dicht zu seinem Gesicht hinunter.
    - Du sollst in unserem Bett schlafen, sagte sie. Du wirst das Zimmer ganz allein für dich haben.

    Daniel war zu müde, um Widerstand zu leisten, als Edvin und der Knecht ihn aufhoben. Als sie ihn über den Hof trugen, merkte er, daß es regnete. Er öffnete den Mund und spürte, wie ein paar Tropfen auf seiner Zunge zergingen. Aber als sie ihn ins Bett brachten, war er schon wieder eingeschlummert.

    In dieser Nacht begann er zu sinken. Ein einziges Mal in der Zeit, die noch blieb, verließ er das Bett und ging hinaus auf den Hof. Das war, als er geträumt hatte, Be und Kiko wären gekommen und warteten jetzt auf ihn. Als er herauskam und spürte, wie die Kälte vom Boden in seinem Körper hochstieg, war niemand da. Er ging in den Stall, um den Holzschuh zu holen, an dem er schnitzte, und das Messer, das im Heu lag. Dann kehrte er auf den Hof zurück, nachdem er Schuh und Messer unter das Nachthemd gesteckt hatte. Er rief nach ihnen, rief ihre Namen, ohne Antwort zu bekommen. Alma und Edvin kamen heraus, aus dem Schlaf gerissen. Seit er in die Kammer gezogen war, schliefen sie zusammen mit der Magd in der Küche. Er sträubte sich nicht, als Edvin ihn hochhob und ihn wieder ins Haus trug.

    Das war das einzige Mal, daß er aus dem Bett aufstand. Es war eine kurze Unterbrechung seines Sinkens. Jetzt setzte es sich fort und sollte nicht mehr aufhören, bis er tot war.

    Dann und wann schüttelten ihn schwere Hustenanfälle, von denen die Laken blutig wurden. Aber den größten Teil der Zeit lag er still in dem Grenzland, wo Träume und Wirklichkeit sich trafen. Er sagte nie etwas, erwiderte nie den Blick von irgend jemandem, und erkannte zuletzt nur noch Alma und Edvin. Hallen kam zu regelmäßigen Besuchen, ebenso Doktor Madsen. Einmal ließ Alma auch eine weise Frau aus Kivik kommen, von der es hieß, sie könnte Menschen von der Schwindsucht heilen, indem sie ihnen die Brust mit Kuhfett einrieb. Aber Daniel sank unablässig weiter. Er fühlte keinen Schmerz, er hatte keinen Hunger, ihm fehlte jede Vorstellung davon, ob es Tag war oder Nacht.

    Als er zu sinken begann, wurde ihm klar, daß der Weg zurück nicht zum Horizont ging, sondern nach innen, nach unten, einer Tiefe entgegen, die ihn anzog. Dort warteten Be und Kiko. In den Träumen konnte er schon den Sand sehen, der in der gleißenden Sonne ganz weiß war. Er war jetzt vollkommen ruhig. Nichts hinderte ihn mehr daran zurückzukehren. Be und Kiko hatten ihn nicht aufgegeben. Sicher würde Kiko ärgerlich sein, weil er so lange gebraucht hatte, bis er sich zu erkennen gab. Aber nicht einmal das beunruhigte ihn. Ein paar Stunden jeden Tag schaffte er es, weiter an dem Holzschuh zu schnitzen. Er dachte, daß Kiko zufrieden sein
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