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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope
Autoren: Henning Mankell
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von Nomaden umringt. Alle sahen ihn freundlich an, nicht einmal die Kleinkinder schienen Angst vor ihm zu haben. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er jetzt eine Chance hatte, die vermutlich nie wiederkehren würde. Mit Nomaden konnte man keine Verabredungen treffen. Man konnte nicht einfach ein Treffen mit einer Gruppe vereinbaren, die zum San-Volk gehörte. Jetzt war er durch Zufall einer dieser Gruppen begegnet, und überdies befand sich ein Mann unter ihnen, der Englisch sprach.

    Er fragte den alten Mann, ob sie Zeit hätten, eine Weile zu bleiben und ihn eine Geschichte erzählen zu lassen. Der Alte wandte sich an die anderen und begann in der Sprache mit den klickenden Lauten zu reden. Alle schienen ganz entzückt darüber, daß ihnen jemand eine Geschichte erzählen wollte. Sie setzten sich in den Sand, und obwohl es sehr heiß war, wollte sich keiner im Schatten des Wagens niederlassen.

    Dann erzählte er die Geschichte von einem Jungen, der den Namen Daniel erhalten hatte und der irgendwann vor 130 Jahren nach Schweden gekommen war. Der alte Mann übersetzte sein Englisch, und er merkte, daß es langsam sehr still wurde unter den Menschen, die vor ihm im Sand saßen. Es war eine Stille, die von innen kam, eine Konzentration, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte. Er erzählte alles, was er wußte, jede Einzelheit, die er über den Jungen hatte in Erfahrung bringen können, der jetzt auf einem Friedhof im südlichen Teil des fernen Landes begraben lag, das Schweden hieß. Er erzählte außerdem, daß er jetzt die lange Reise nach Windhoek unternahm, um in den deutschen Archiven nachzuforschen, in dem, was heute das Reichsarchiv des namibischen Staates hieß, ob dort irgendwelche Dokumente über die Menschen vorhanden waren, die den Jungen, der den Namen Daniel erhielt, mit sich nach Schweden genommen hatten.

    Nachdem er die Geschichte erzählt hatte, reichte er dem alten Mann die Fotografie aus einem Atelier in Lund, die er aufgespürt hatte. Sie hatte sich bei Verwandten von Hans Bengler befunden, die sie ihm nur ungern überlassen hatten. Er hatte ihr Widerstreben nie ganz verstanden, oder vielleicht war es eher eine Unruhe. Es schien, als sei Daniels Geschichte von einem schamvollen Schweigen umgeben.

    Jetzt wurde die Fotografie von den Menschen im Sand herumgereicht. Dabei hatte er ein Gefühl, als sei das, was sich vor ihm abspielte, ein religiöses Ritual.
    Als er das Bild zurückbekam, begann der alte Mann zu sprechen. Er suchte lange nach Worten, als sei es ihm wichtig, daß alles, was er sagte, genau stimmte.

    Der alte Mann bedankte sich. Dafür, daß er mit dem Auto den ganzen langen Weg aus dem Land gekommen war, dessen Namen er nicht aussprechen konnte, und Daniels Geist in die Wüste zurückgebracht hatte, an den Ort, wo er hätte leben und auch begraben werden sollen.

    Als der Mann verstummte, stand eine Frau auf, sie trug ein sehr kleines Kind auf dem Rücken, und sie kam herüber und stellte sich vor ihn hin.
    - Her name is Be, sagte der alte Mann.

    Er sah ihr in die Augen und dachte, genau so hätte die Frau, die Daniels Mutter war, aussehen können. Er wußte auch, daß sie von nun an immer denken würde, sie sei die Mutter dieses Jungen, des Jungen, der so weit von hier begraben lag.
    Danach erhoben sie sich und verschwanden. Bald sah er sie nur noch als eine langgezogene Linie aus schwarzen Punkten in dem gleißenden Sonnenlicht.

    Im Archiv von Windhoek fand er keine Dokumente, die ihm etwas über Daniel und Hans Bengler oder über Wilhelm Andersson erzählen konnten, was er nicht bereits wußte. Hingegen verbrachte er einen ganzen Tag damit, große Mappen mit Fotografien durchzublättern, die ein englischer Fotograf namens Frank Hodgson auf seinen Reisen durch das, was in den 1870er Jahren Deutsch-Südwestafrika hieß, aufgenommen hatte, zu der Zeit, als Daniel sich auf seiner langen Fahrt nach Schweden befand.

    Eins von den Fotos zeigte einen Mann, eine Frau und einen Jungen. Sie waren steif vor der Kamera des Fotografen aufgereiht. Der Junge stand im Vordergrund. Er sah Daniel sehr ähnlich, wie ihn das Porträt zeigte, das im Atelier in Lund gemacht worden war. Er dachte, so hätten sie aussehen können, Be und Kiko und Daniel, der damals ganz anders geheißen hatte - wie, das würde niemand je erfahren.

    Danach verließ er das Reichsarchiv. Die trockene und heiße Luft außerhalb des klimatisierten, kühlen Archivs schlug ihm wie eine Wand entgegen.

    Zwei Tage später fuhr
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