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FJORD: Thriller (German Edition)

FJORD: Thriller (German Edition)

Titel: FJORD: Thriller (German Edition)
Autoren: Halvar Beck
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    »Jan! Zeit fürs Bad! Dann wird gegessen und ab ins Be…« Ann Christin Sommer brach ab und lächelte, als sie ihren fünf Jahre alten Sohn, ein aufgewecktes, sehr aktives Kerlchen, mit Erik spielen sah. Der Knirps kletterte kichernd und kreischend auf dem Rücken ihres Mannes herum. Erik saß auf dem Boden vor dem Kamin. Vater und Sohn beim Spielen zuzusehen, war eine der wenigen Gelegenheiten, die Trostlosigkeit des Ortes, die sich tief in ihre Seele gegraben hatte, zu vergessen.
    Erik Sommer war der Bäcker in Kongesanger. Wichtig für die Versorgung aller Dorfbewohner, geschätzt und geachtet, so wie schon sein Vater zuvor, ein deutscher Einwanderer, der hier in jungen Jahren eine neue Heimat gesucht und gefunden hatte. Als Ann Christin vor acht Jahren ihr Lehramtsstudium abgeschlossen hatte, verliebte sie sich in Erik und zog in seine Heimatgemeinde, ohne zu ahnen, was sie in dieser Einöde erwarten würde. Eriks Eltern waren schon verstorben, sie lernte sie nie kennen. Nur seine Schwester Sigrid, zu der Erik ein inniges Verhältnis hatte, war von seiner Familie übrig geblieben. Sie wohnte ein paar Häuser weiter. Ann Christin verstand sich recht gut mit ihr.
    Nachdem die alte Lehrerin kurz vor ihrer Pensionierung unerwartet verstorben war, übernahm sie den Unterricht der wenigen Kinder der Grundschule des Ortes. Zwei Jahre später kam Jan auf die Welt. Bald wurde ihr bewusst, wie abgeschieden Kongesanger wirklich war. Es gab keine Kinderkrippe und keinen Kindergarten. Als Babysitter hatte sie nur Sigrid. Der Spielgruppe, einer Initiative junger Mütter in Kongesanger, war Jan bald zu wild. Einzig beim Legospiel kam er zur Ruhe und baute für sein Alter bemerkenswerte Modelle. Doch die anderen Kinder wollten nicht jedes Mal nur mit den Bausteinen beschäftigt werden, was Jan nicht akzeptieren konnte.
    Auch wenn Erik von den Einheimischen als einer der Ihren betrachtet wurde, Ann Christin war und blieb eine Zugezogene. Und das spürte sie tagtäglich. 
    Jan versuchte, seinen Vater zu einer Reaktion zu provozieren, doch dieser starrte regungslos in die Flammen. Ann Christin gefiel dieses Spielchen nicht. Erik wollte so auf Jan einwirken, den quirligen Bengel zur Ruhe bringen, aber Ann Christin fand die Szenerie beklemmend. Sie zog Ängste an die Oberfläche, vor Tod und Verwesung, vor Verlassenheit und Traurigkeit. Ängste, die sie als Kind erfahren musste, und nie wieder auch nur daran denken wollte. Und ganz sicher wollte sie nicht, dass sich ihr Sohn mit seinen fünf Jahren damit auseinandersetzen musste. Heute schien Erik das aufgeregte Treiben ganz besonders lang zu erdulden. Es war genug.
    »Erik, hör auf, es reicht!«, verlangte sie mit einem verärgerten Zittern in der Stimme. »Jan, lass das! Hör auf, deinen Vater an den Ohren zu ziehen!«
    Jan kreischte vor Vergnügen und zog noch einmal so kräftig, dass er den Kopf seines Vaters weit in den Nacken bog. Erik reagierte nicht. Dieser Schmerz hätte alle Grenzen gespielter Gleichgültigkeit überschritten. Und wieso trug Erik noch Jacke, Gummistiefel, Schal und Handschuhe? Nur die Mütze hatte Jan ihm wohl vom Kopf gerissen, so zerstrubbelt wie die Haare waren. 
    Ann Christin erstarrte. Ihr Atem stockte. Etwas stimmte nicht. Hastig schnappte sie nach Luft. Hyperventilierte. Ein Sirren in ihren Ohren kündigte die Unterversorgung mit Sauerstoff an. Sie lief auf ihren Sohn zu und zerrte ihn vom Vater weg.
    »Geh nach oben, Jan!«, verlangte Ann Christin. 
    Jan fing an zu weinen. Vermutlich hatte sie zu fest zugepackt. Vermutlich war sie viel zu laut. Vermutlich wurde ihm bewusst, dass das Spiel gar kein Spiel war. Ann Christin konnte jetzt nicht darüber nachdenken. Sie kämpfte ihre beginnende Panik herunter. Jan musste aus dem Wohnzimmer! »Geh in dein Zimmer, Jan! Du … du darfst noch fernsehen, ich komme später!«
    Die Worte erfüllten ihren Zweck. Ihr Sohn jubelte über die unerwartete Ausdehnung der ansonsten streng begrenzten Fernsehzeit und polterte hoch in sein Zimmer. 
    Ann Christin atmete tief durch. Was auch immer mit Erik geschehen war, Jan sollte es nicht direkt miterleben müssen. Es war genug, wenn seine Mutter das Trauma ihrer eigenen Kindheit ein Leben lang in sich trug.
    Zögernd griff sie nach der Schulter ihres Mannes, als erwartete sie, er würde einfach tot zur Seite kippen.
    Wie ihr Großvater damals. Er saß in seinem Lieblingssessel, schien zu schlafen. Ganz friedlich. So wie er immer auf dem Sessel einschlief –
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