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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope
Autoren: Henning Mankell
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an ein Glas Kognak zu denken.
    Das machte er immer so, wenn ihn etwas Unangenehmes erwartete. Er hatte nie dieselbe Kraft aus der Heiligen Schrift schöpfen können wie aus dem Gedanken an ein Glas Kognak.
    Als er eintraf, wichen die Menschen zur Seite. Zu seiner Erleichterung lag kein zerfetzter Mensch an der Mauer. Was es da zu sehen gab, war ein ungeschickt eingeritztes Tierbild. Eigentlich bestand es nur aus einem Körper mit eigentümlichen Proportionen und einem großen Auge.
    Das Auge war rot. Oder eher schwarz. Aber es war Blut, das sah er sofort. Das Auge starrte ihn an, und sofort verstärkte sich der Schmerz über seinem Auge. Eines der reichsten Gemeindemitglieder, ein unangenehmer Mensch mit dem Namen Amman, stand da und schlug mit seinem Stock gegen die Kirchenmauer. Im vorigen Jahr hatte er der Gemeinde eine häßliche und klobige, aber wertvolle Brautkrone gestiftet. Hallen argwöhnte, daß es Diebesgut war, das er von einer seiner vielen Reisen nach Polen mitgebracht hatte. Amman hielt sich eine Geliebte auf einem verfallenen Gut ganz in der Nähe der Hafenstadt, wo der Schiffsverkehr von Ystad den Kontinent erreichte. Er prahlte offen damit, daß er jedes oder jedes zweite Jahr ein polnisches Kind zeugte, obwohl seine schwedische Ehefrau ihm ständig neue Kinder gebar. Hallen empfand mitunter Trauer, wenn er von der Kanzel herab den fetten Amman und seine dünne Frau sah. Er konnte sogar das Unbehagliche zulassen, sich die beiden nackt zusammen vorzustellen. Daß Amman seine Frau nicht schon längst im Bett erdrückt hatte, schien ihm unbegreiflich.

    - Der Neger, sagte Amman mit seiner schleppenden Stimme. Das ist das Werk des Negers.
    Es murmelte und summte in dem Menschenhaufen, der sich auf dem Friedhof versammelt hatte. Ein Laut wie von aufgestörten Bienen, dachte Hallen.

    - Der Neger, wiederholte Amman, und Hallen merkte, daß er nicht übel Lust hatte, ihn wegzujagen. Aber Amman verfügte in der Gemeinde über großen Einfluß, er saß im Kirchenrat, und niemand konnte leugnen, daß er mit seiner Gabe trotz allem zur Ausstattung der dürftigen Kirche beigetragen hatte.
    - Woher weiß man das? fragte Hallen und dachte an den eigentümlichen Jungen aus dem fernen schwarzen Kontinent, dem er versucht hatte, Manieren beizubringen, der ihm dies jedoch damit gedankt hatte, eine Kreuzotter in den Klingelbeutel zu stecken.
    Amman fuchtelte mit dem Stock. Aus der dunkel gekleideten Menge löste sich einer von Ammans Knechten, der ständig betrunken war, aber im Ruf stand, ein Händchen für kranke Pferde zu haben.
    - Ich habe ihn gesehen, sagte der Knecht.
    - Was hast du gesehen?

    - Er saß hier an der Mauer und ritzte.
    - Wann?

    - Heute nacht.
    Amman hieb den Stock mit Wucht auf den Rücken des Knechts, der sich davonschlich.

    - Er trinkt, sagte Amman. Aber er sieht, was er sieht. Es war der Neger, der hier saß und ritzte und sich blutig stach und herumschmierte. Er gehört nicht hierher. Man weiß ja, was man von solchem Teufelswerk zu halten hat.
    Hallen sah Amman forschend an. Der Schmerz über seinem Auge nahm zu.
    - Was weiß man?

    - Daß man achtgeben soll, wen man in seiner Nähe hat. Die letzten Worte sprach Amman mit lauter Stimme. Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich aus der Menge.

    - Ich werde mich um die Sache kümmern, sagte Hallen. Dann wandte er sich an den Kirchendiener.

    - Versuchen Sie, das hier wegzuschrubben, sagte er. Und ihr
    anderen könnt nach Hause gehen.
    Amman marschierte zur Straße und dem wartenden Wagen hinunter. Die Menge zerstreute sich nach und nach. Hallen dachte, er sollte jetzt gleich mit Alma und Edvin sprechen. Aber der Schmerz über dem Auge machte es unmöglich. Er kehrte ins Pfarrhaus zurück und lag für den Rest des Tages im Bett.

    Am nächsten Morgen kam die Haushälterin und erzählte, das Tier mit dem roten Auge sei wieder an der Mauer. Hallen war gerade aufgewacht, voller Erleichterung, daß der Schmerz über dem Auge verschwunden war.

    Am selben Tag besuchte er Alma und Edvin. Sie hatten gehört, was geschehen war. Alma hatte Daniel gefragt, aber keine andere Antwort erhalten als ein paar Worte in seiner eigenen, merkwürdigen Sprache. Sie gingen zusammen in den Stall hinaus. Daniel lag zusammengerollt im Heu.
    - Er hat Fieber, sagte Alma. Aber er weigert sich, drinnen im Haus zu liegen.
    Schweigend betrachtete Hallen den Jungen.

    - Möglicherweise muß man ihn in eine Irrenanstalt bringen. Vieles spricht dafür, daß er verrückt geworden
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