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Diamantenschmaus

Diamantenschmaus

Titel: Diamantenschmaus
Autoren: Pierre Emme
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1.
    Sonntag, 7. März, vormittags

     
    Es war offenbar wirklich ein ungeschriebenes
Gesetz, dass unangenehme Dinge immer dann passierten, wenn man am wenigsten
etwas dagegen unternehmen konnte, oder rasche Maßnahmen zu ihrer Abhilfe am
teuersten kamen. Und je unangenehmer diese Dinge waren, je unvorhergesehener
sie einen trafen, desto stärker war das Gefühl, dem Geschehen hilflos ausgesetzt
zu sein.
    Daran musste Palinski denken, als sein treuer, uralter PC
ausgerechnet am ersten Sonntag im März seinen Geist aufgab. Kurz vor Mittag, um
11.23 Uhr, um ganz genau zu sein.
    Damit kein Missverständnis entsteht, nicht der Computer des
Instituts für Krimiliteranalogie, dem Palinski vorstand, war total im Eimer und
dadurch möglicherweise auch die wertvolle Datenbank CAI (Crimes and Ideas).
Nein, diese moderne Anlage war in alle Richtungen hin mehrfach abgesichert und
wurde ständig auf dem aktuellen technischen Stand gehalten. Darauf achtete
Florian, der über die Anlage wachte wie seinerzeit Zerberus am Tor zur
Unterwelt.
    Florian Nowotny, ein Virtuose der Datenbank, war seit rund
zweieinhalb Jahren Palinskis Assistent. Der karenzierte Polizist studierte
nebenbei Jus und würde wohl noch vier Semester bis zu seinem Magister
benötigen.
    Das gute Stück, um das es an diesem Sonntag ging, war
Palinskis privater, acht Jahre alter PC, auf dem er bisher seine persönliche
Korrespondenz erledigt hatte und, exakt hier war das eigentliche Problem, auf
dem seine Manuskripte abgespeichert waren. Er war ja inzwischen unter anderem
auch ein durchaus respektierter Autor von Kriminalromanen. Zwei davon waren
bereits erschienen, den dritten mit dem Titel ›Zum Morden verurteilt‹ hatte er
eben erst fertiggestellt.
    Und genau da lag der Hund begraben.
    In dem überschäumenden Glücksgefühl, es endlich
geschafft zu haben, und der nachfolgenden postnatalen Depression, die ihn immer
wieder überfiel, nachdem er einen Roman beendet hatte, hatte er gestern Abend
völlig vergessen, eine externe Sicherungskopie des fertigen Manuskripts zu
erstellen. Falls sich also bewahrheiten sollte, dass die Festplatte im Arsch
war, dann   … aber daran
wollte Palinski gar nicht denken. Mehr als vier Monate vergebens gearbeitet,
und obendrein umsonst, und der ganze schöne Roman wäre einfach weg. Futsch,
unwiederbringlich dahin. Der Gedanke allein war schon zum Heulen.
    Ausgerechnet an diesem Wochenende war Florian,
sein Mann für solche Probleme, nicht greifbar. Er war mit seiner Freundin Inez
zum Skilaufen irgendwo in Tirol und wurde erst morgen Abend wieder in der Stadt
erwartet.
    Da seine Tochter Tina in London und sein Sohn Harry in
Konstanz waren, fiel Palinski niemand ein, den er privat um Rat hätte fragen können.
Es war wie verhext.
    Millionen junger Menschen wuchsen mit dem Computer auf und
kannten sich dementsprechend hervorragend aus. Mindestens eine weitere Million
ärgerte den Rest der Community, indem ständig neue Viren, Würmer, Trojaner oder
ähnliche Ärgernisse auf den Rechner geschickt wurden. Bei dieser gewaltigen
Menge an Fachleuten müsste Palinski eigentlich mindestens eine Person in seinem
Bekanntenkreis haben, die ihm bei seinem Problem helfen konnte. Hatte er aber
nicht. Oder er wusste zumindest nichts davon.
    Resigniert gestand er sich daher ein, dass ihm nur
die Wahl blieb, sich entweder bis morgen zu gedulden oder im Telefonbuch einen
dieser sündteuren Spezialisten ausfindig zu machen, die sich für den Gegenwert
eines Hightech-Mountainbikes bereit erklärten, ausnahmsweise am Sonntag einen
Blick auf das Problem zu werfen. Natürlich ohne eine Garantie dafür zu geben,
dass das Ganze positiv ausging.
    Palinski war unentschlossen. Wie meistens, wenn
er den Rat Wilmas brauchte, war sie gerade nicht erreichbar. Sie befand sich
auf einem Seminar ihrer Grünen Freunde am Semmering, das sicher nicht vor dem
Abend zu Ende war. Na bitte, dann würde er eben bei Mamma Maria auf eine
Lasagne verde und ein Glas Barolo vorbeischauen und sich während des Essens
überlegen, wie es weitergehen sollte.
    Als er die Institutstüre hinter sich versperrte,
hörte er zwei Menschen die Stiege im Haus herunterkommen. Und sah sie gleich
darauf.
    Es war das junge Pärchen, das vergangene Woche in die Wohnung
über seinem Büro eingezogen war. Die neuen   …
Nachbarn halt. Wie sollte man Menschen sonst nennen, die über einem wohnten?
Oberbarn?

     
    *

     
    Während Palinski in seinem Büro auf
Stiege 4 des Hauses Döblinger
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