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Die Reisen des Mungo Carteret

Die Reisen des Mungo Carteret

Titel: Die Reisen des Mungo Carteret
Autoren: Gisbert Haefs
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    Wanderlust
     
    Mungo Carteret lief den Ziegenpfad hinauf. Unterhalb des Hauses, am Rand der Klippe, blieb er einen Moment stehen und stieg in die Kleider, die er unter dem Arm getragen hatte. Die Haut war trocken, die Atmung leicht beschleunigt. Unten in der Bucht wurden die Schatten kürzer. Der herbstliche Dunst über dem Meer begann sich aufzulösen; nördlich von Alderney stand ein Zweimaster, der mit dem kräftigen Südwest gut vorankam. Der Leuchtturm am kleinen Hafen der Landspitze war ausgeschaltet.
    Ehe Carteret die umlaufende Veranda erreichte, roch er den Kaffee. Die Türen von Küche und Bibliothek standen offen. Rhea war nicht zu sehen. Sie schien den Abend am Leser verbracht zu haben; neben dem Gerät lagen mikrolibros . Die Ecke für Jüngere Geschichte im Glasschrank war geplündert.
    Dann sah er den Brief: einen länglichen grauen Umschlag auf dem Mahagonitisch. Carteret blinzelte, schloß die Augen. ›Calvados‹, dachte er. Zweieinhalb Stunden Schlaf! Als er die Augen öffnete, war der Brief noch da. Keine kodierte Mitteilung, entschlüsselt und ausgedruckt vom Kommunikator; kein Teleprint; keine Warensendung aus der Preßluftröhre – ein Brief, beschrieben und vielfach gestempelt.
    Carteret ging um den Tisch herum, legte den Kopf schief, blieb stehen und wandte sich an den kompakt , der im Kirschbaumregal in einem Totenschädel steckte, unter dem Visifonschirm, über dem Thermodrucker, zwischen dreitausend alten Büchern.
    »Etwas Neues, Moloch?«
    Der warme Bariton der Maschine hüstelte. »Ein ob szöner Anruf. Rhea war die halbe Nacht in der Bibliothek, hat gelesen und leise mit sich selbst geredet.«
    »Geht dich und mich nichts an. Löschen, du indiskre tes Gerät. Was für ein obszöner Anruf?«
    Der Schirm erhellte sich. Carterets entfernte Kusine Pamela du Plessis blinzelte, als der kompakt sich melde te; Rhea nahm keine Gespräche entgegen.
    »Niemand zuhause, wie? Hör zu, Mungo – ruf mich bald mal an. Ich bin wieder in Atenoa. Ich hab ein paar feine Sachen ausgebuddelt. Du weißt schon, frühe Noastoa { * } ; eine sensationell alberne Aphoristikerin. Und du? Schläfst du immer noch mit deiner Gyniden? Oder kann man dich mal wieder verwenden? Mach’s gut, Schätzchen.« Sie blies einen Kuß in ihren Sender und lächelte: weiße Zähne, rote Lippen, Grübchen, grüne Augen, ein wirrer Kupferschopf. Der Bildschirm erlosch.
    Carteret grinste und schnippte mit den Fingern. »Alles?«
    »Alles.«
    »Löschen.«
    Der kompakt schwieg; Carteret ging zurück zum Tisch und nahm den Brief in die Hand. Der seltene und teure Vorgang – 120 Drachmen für den Transport durch den Raum; ein kodierter Hyperspruch hätte 3 oder 4 Drachmen gekostet – hatte alle befaßten Stellen dazu animiert, antike Stempel hervorzukramen. Absender war die altehrwürdige Reiseagentur »Viario Cook’s« in Atenoa (Bezirk XXIV); mit Stempeln versehen hatten das Schreiben die Zollämter – jeweils Eingang und Ausgang – der Frachthäfen Atenoa/Gaia, Paqranat/Eos V, Shamash/Sirius B XI, Phobos/Sol IV-I und Europort Nord, ferner ein Botendienst in Paris. Vermutlich in Paris war von Hand die galakteinische Standardumschrift korrigiert, der zweite Vorname anglisiert worden.
     
    Dom
    Aristid Mõgomri Karterè | Aristide Montgomery Carteret
    Zhobûr | Jobourg
    Euro-Fr; Terra/Sol III
     
    Langsam, feierlich, fast ehrfürchtig öffnete Carteret den Brief mit einem elfenbeinernen Schlitzer. Der Umschlag enthielt eine Karte (»Als einzige mit antiken Kommunikationsformen noch vertraute Organisation wurden wir gebeten, dies an Sie weiterzuleiten. Mit Empfehlungen – Cook’s, Atenoa XXIV«) und ein Blatt mit dem Kopf ei ner planetaren Gesandtschaft: RESIDENT VON SETE-BOS – STB, ATENOA, GAIA. Der Text war von einem Diktatschreiber mit Standardgraphie gedruckt.
     
    Dom:
    Vom SIC { * } wurden Sie uns als vertrauenswürdig und höchst qualifiziert für diskrete Ermittlungen empfohlen. Ein Bewohner von Stb und somit Bürger des Commonwealth ist im Verlauf einer nicht näher bekannten Forschungsreise verschwunden. Letzter bekannter Aufenthaltsort war der hydroponische Trakt von Shamash 8. Es besteht Grund zu der Annahme, daß Qlf sich Richtung Terra bewegte. Eine Einschaltung von Behörden des Commonwealth wurde erwogen und verworfen, da im Fall eines Verbrechens dann eine Ahndung unaufhaltsam wäre, an der uns absolut nicht gelegen ist. Qlf war/ist ein gepriesener Libidetektor; unten ein neueres Abbild. Weitere Bürger
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