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Die Reisen des Mungo Carteret

Die Reisen des Mungo Carteret

Titel: Die Reisen des Mungo Carteret
Autoren: Gisbert Haefs
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von Stb befinden sich, soweit feststellbar, zur Zeit nicht im Sirius-Sektor. Auf Ihr vom SIC genanntes Konto bei der Kargobank, Sherbûr, haben wir 15000 dr überwiesen. Sollten Sie den Auftrag ablehnen, bitten wir um Rücküberweisung. Bei Erledigung erwarten Sie bitte die gleiche Summe noch einmal; außerdem übernehmen wir selbstverständlich Reisekosten und sonstige Spesen.
    gez. 3317, Resident
     
    Carteret schnitt eine Grimasse und betrachtete das »Abbild« des verschollenen Libidetektoren von Stb – ein Strunk, ein morscher Weinstock, eine abgeknabberte Zwergtamariske, etwas in der Art. Er legte den Brief auf den Tisch, ging langsam über die Veranda zur Küche, goß sich einen Becher voll Kaffee und kehrte zurück in die Bibliothek.
    »Moloch!«
    »Edler Herr Mungo?«
    »Sind bei der Cargobank in Cherbourg fünfzehntausend Drachmen eingetroffen; wahrscheinlich von der Setebos-Residenz auf Gaia?«
    Der kompakt schwieg einen Moment. »Bestätigt«, sag te er dann.
    »Sehr schön. Was ist ein Libidetektor?«
    »Keine Information.«
    Carteret nickte und schlürfte von seinem Kaffee. »Hab ich mir fast gedacht. Noch was. Vor ungefähr vier Mona ten kam ein Anruf von Qorba Salibi; ich sollte mich wegen irgendwas an ihn wenden.«
    »Keine Information.«
    »Also gelöscht. Na gut, nicht zu ändern. Hm. Bitte Anfrage an die Nationalbibliothek Paris; alle verfügbaren Daten über Setebos beziehungsweise S-t-b und Bewohner.«
    »Alle?«
    »Ah. Nnnein. Bereiche: Beziehungen zum Commonwealth, Ethnologie, Sozialstruktur, Kriminalität; und Literaturhinweise. Bitte alles ausdrucken.«
    »Ganz wie du befiehlst, Durchlaucht.«
    »Blöder Apparat.« Carteret nahm den Becher, verließ die Bibliothek und ging auf der Veranda ums Haus. Die Septembersonne stand noch immer tief. Das milchige Beige der Kuppel des Fusionsmeilers, eher zu ahnen als zu sehen hinter dem waldigen Höhenzug im Südosten, war rosa angehaucht. Die halb verschatteten Vierecke der Apfelgärten und Viehweiden zwischen den dichten Hec ken glitzerten; ein paar braune Kühe wateten durch das betau te Gras. An der majestätischen Blutbuche lehnte das Fahr rad des dreibeinigen Melkers Tuzimaz.
    Rhea stand auf der östlichen Veranda, die Augen geschlossen, die Arme halb erhoben. Sie war barfuß. Das grelle Orange der Nägel und Lippen schien einem Nachmittag angemessener als diesem frühen Herbstmorgen. Der Körper, geformt nach antiken Schönheitsvorstellun gen, makellos und von der Farbe kräftigen Kakaos, drängte durch das transparente Gewebe des Nachthemds. Die Sonne überzog den kobaltblauen Schopf mit einer unwirklichen Rostschicht.
    Sie mußte seine Schritte gehört haben, ließ die Arme sinken, wandte sich ihm zu und öffnete die Augen. »Mungo. Na, gut gesumpft?«
    »Vierzigjähriger Calva und tausend feine Lügengeschichten. Der alte Durtain wird immer besser.« Er küßte ihren Mund; die Lippen waren kalt. »Und du? Gut geschlafen?«
    »Gelesen. Dann geträumt.« Um die violetten Augen schlang sich ein Netzwerk von Müdigkeit und Melancholie.
    »Wieder dasselbe?«
    Sie nickte.
    Er berührte ihre Wange. »Tut mir leid. Kann ich dir helfen?«
    »Nein. Ich liebe dich. Ich werde dich verlassen.« Sie schloß die Augen und wandte das Gesicht wieder der aufsteigenden Sonne zu.
    Carteret lehnte sich an das Geländer und starrte in seinen Becher. Er kannte den Traum; soweit man ihn durch Erzählung kennen konnte. Eine gleitende milde Wärme, wie von einer sanften lockenden Sonne. Die neunundsiebzig »Geschwister« träumten denselben Traum wie Rhea, hatten ihn schon geträumt, als sie noch in den La bors unter der Ganymed-Oberfläche waren. Achtzig Gyniden, Androiden und Androgyniden, bestellt und vorab bezahlt, geformt aus entwendetem genetischen Material, gezeugt durch ein Kloning-Programm, geboren in aseptischen Hallen, erwacht im biologischen Alter von etwa zwanzig Jahren. Der Traum war eine Art Geburtstrauma von Nichtgeborenen, Heimweh Heimatloser, Suche Geschichtsloser nach Vergangenheit. Carteret war während einer Scheidungsermittlung für einen Bankier von Wega VII zufällig, ohne jeden Zusammenhang mit seinen Re cherchen, auf eine bankrotte Chartergesellschaft gesto ßen, die nur noch rostige Kähne besaß und einen nagelneuen, angemieteten Passagierraumer an einen Biochemiker vercharterte. Er war immer dafür, Abwegen nachzugehen, auch wenn sie mit Sicherheit nicht zu seinem eigentlichen Ziel führten. Der Rest war ein Gespräch mit seinem Freund
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