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Die Reisen des Mungo Carteret

Die Reisen des Mungo Carteret

Titel: Die Reisen des Mungo Carteret
Autoren: Gisbert Haefs
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Jobourg hing bereits mondloses Dunkel. Der Kommunikator übermittelte die üblichen Summtöne; Pamela war also zuhause, meldete sich jedoch erst nach etwa einer Minute, ohne den Bildteil zuzuschalten.
    »Ja?«
    »Dein Stiefzwilling, Schatz.«
    »Ah, Mungo Mungito.« Das Bild kam; Pamela war nackt und naß und lächelte. »Ich war unter der Dusche. Na?«
    »Optisch bestens. Ansonsten eher elliptisch.« Er hob die fast leere Calvadosflasche.
    »Elliptisch?« Sie runzelte die Stirn. »Nach Ashme Zuvarov Zustand der Selbstentfremdung, Ende erotischer Konzentrik, asymptotische Null? Huch. Moment. Mir wird kalt.« Sie verschwand, kehrte mit einem Bademantel zurück. »Also Ende? So war die Frage gestern, eh, vorgestern nicht gemeint. Tut mir leid.« Dann lächelte sie wieder. »Aber gut so. Gut so und tut mir leid; wenn du das verstehst. Ellipse und derlei. Aber monogam warst du unausstehlich.«
    Carteret zuckte mit den Schultern. »Ändert sich ab sofort. Hör mal, ich hab einen schrägen Auftrag angenommen und brauch ein Orakel.«
    »Was du brauchst, ist ein Besuch von mir und ein paar Tage in der Gobi, mit Jurte und Doppelschlafsack.«
    »Gute Idee. Wann?«
    »Ich kann nicht weg. Komm du doch her.«
    »Wenn ich den Job erledigt hab. Je besser dein Orakel, um so schneller.«
    »Immer die alten Scherze. Hat das denn jemals was gebracht?«
    »Aber sicher. Weise Sprüche obskurer Noastoiker ha ben mich oft auf wundersame Abwege geführt. Manchmal sogar am Ziel vorbei.«
    »Na gut.« Sie seufzte. »Worum geht es?«
    »Sag ich dir hinterher.«
    »Wie du meinst. Moment. Ein Teil der neuen Funde ist schon gespeichert. Mal sehen, was das Orakel sagt.« Sie verließ den Bildbereich.
    Carteret wartete. Es war ein altes Spiel, das sie seit Jahren spielten; wie frühere Generationen blindlings die Bibel aufgeschlagen hatten. Aus Pamelas Textspeicher mit Noastoa-Sentenzen suchte ein Zufallsprogramm drei »Sprüche zum Tage« heraus.
    »Aha. Oho. Paß auf.« Pamela hielt ein Blatt hoch. Sie grinste mehrdeutig. »Der Apparat scheint deinen Calva-Konsum gerochen zu haben und empfiehlt Wechsel. ›lm Wein ist nicht mehr Wahrheit als im Trinker; unter optimalen Bedingungen kann Wein jedoch die Lust ersprießlichen Lügens erhöhen.‹ Brauchbar?«
    »Naja.«
    »Nummer zwei. ›Du bist eine Flasche ohne Etikett und deine eigene Fülle; ob dein Inhalt anderen als Essig oder Burgunder erscheint, hängt auch von deiner Überzeugungskraft beim Schlürfen ab.‹ Holla.«
    Carteret lachte. »Schon besser.«
    »Nummer drei. Du liebe Güte. ›Wenn die Beere Trau be wäre, die Traube der Weinstock, der Weinstock der Weinberg und der Weinberg die Welt, gäbe es kein individuelles Abweichen mehr, sondern nur noch kollektiven Suff.‹ Die Maschine spinnt. So, jetzt erzähl aber, was du wieder ausschnüffeln mußt.«
     
    Zwei Tage lang badete Carteret in fast eineinhalb Jahrtausenden Kultur und Wissenschaft. Sein Gesamtbefinden besserte sich, aber hinsichtlich möglicher Verschwindensmotive des reisenden Kaliban wurde er nicht klüger. Professor Malcolm Hidegkuti empfing ihn in seinem dunkel getäfelten Arbeitsraum im Balliol-College, stellte und beantwortete Fragen, erging sich in klugen und nutzlosen Verknüpfungen, tastete sich durch mutmaßliche Ähnlichkeiten zwischen der Metaphysik des Todes bei den Kamtschadalen und der Pataphysik der Lust bei den Kaliban. Carteret lernte viel, genoß die Atmosphäre der uralten Gebäude, der gepflegten Greens, der Bibliotheken, verbrachte die Nächte in einem Fachwerkhotel auf der anderen Seite des Flusses und flog am Morgen des dritten Tags mit seinem Gleiter nach Süden. Hidegkuti hatte ihm geraten, Professor Giacomo Smythe S. J. in Rom aufzusuchen, aber Carteret verspürte keine Lust, mit einem gregorianischen Jesuiten zu debattieren. Er sah voraus, daß ein großer Teil von Smythes Forschungen und Äußerungen sich um das Verbot der Mission auf Fremdwelten drehen würde, und welche Dinge möglich wären, wenn sie möglich wären. Sollte er nirgends fündig werden, konnte er immer noch den Vatikan konsultieren.
    Die xenologische Abteilung der Sorbonne war in zwei Nebenräumen der Ethnologie untergebracht; nach zweistündigem Gespräch dankte Carteret Prof. Maria Molo-Moltke, aß in einem kleinen Restaurant und wanderte eine Weile das linke Seine-Ufer entlang. Er sah einem Farandiner zu, der in einem wurmstichigen Kahn hockte und angelte; um sein drittes Bein hatte er ein Seil geschlungen. Angehörige
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