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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit
Autoren: Andrej Djakow
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Umbau . A uch einige Einheimische wurden durch die ungewöhnlichen Aktivitäten angelockt.
    Kurz darauf erschienen grimmige Kämpfer vom Wachdienst des Handelsknotens Sadowaja-Sennaja-Spasskaja . Sie verscheuchten die Schaulustigen ans andere Ende der Station und sperrten den improvisierten Versammlungsplatz ab.
    Die Vorbereitungen wurden von PantelejGromow koordiniert, einem Vertreter der Administration der Sennaja . Dieser seltsame Zwerg steckte in einem abgetragenen Rautenpullover und trug eine dicke, altmodische Brille. Während er wie ein Irrwisch über den Bahnsteig wuselte und lautstark Kommandos gab, rutschte ihm seine überdimensionale Sehhilfe immer wieder von der Nase. Mit einer ruckartigen Kopfbewegung beförderte er sie jedes Mal an ihren Platz zurück und brüllte noch heftiger auf seine Untergebenen ein, als wollte er seinem klangvollen Namen alle Ehre machen.
    Als jedoch die ersten Gäste erschienen, zeigte sich Pantelej wie ausgewechselt. Mit einem vor Liebenswürdigkeit triefenden Begrüßungslächeln eilte er einer Gruppe von finsteren Gestalten entgegen, die gerade aus dem Tunnel kamen. Die unauffällig und sauber gekleideten Männer vertraten die Primorski-Allianz, eine der einflussreichsten Gruppierungen in der Metro und wahrscheinlich das einzig verbliebene Bollwerk gegen das Imperium der Veganer, das sich im südlichen Bereich der Linie 3 von der Ploschtschad Alexandra Newskowo bis zur Obuchowo erstreckte.
    Die Ankömmlinge hatten noch nicht Platz genommen, als bereits die Delegation von der Technoloschka den Bahnsteig betrat. Mit ihren ölverschmierten Overalls und Werkzeuggürteln waren die Masuten schon von weitem zu erkennen. Jedermann kannte sie hier, denn ihr Wissen und ihre Erzeugnisse waren für große Teile der bewohnten Metro von elementarer Bedeutung. Beleuchtung, Lüftung, Kraftstoffe – ohne die Ingenieure von der Technoloschka lief gar nichts, und sie ließen sich ihre Dienste teuer bezahlen. Den Wohlstand einer Station konnte man deshalb unschwer am technischen Stand ihrer Beleuchtung abschätzen.
    Die Masuten benahmen sich ungezwungen und flachsten untereinander. Sie setzten sich in der Nähe der Abgesandten der Allianz und warfen kritische Blicke auf die Veganer, die gerade die Treppe vom Übergang herunterkamen. Diese erschienen traditionsgemäß in ihrer extravaganten grünen Uniform, die bei den meisten Metrobewohnern tiefe Abscheu hervorrief. Die Gerten, die sie normalerweise mit sich führten, fehlten allerdings: Die Veranstalter hatten es vorgezogen, ihre Gäste an den Kontrollposten zu entwaffnen. Bei einem so bunt gemischten Publikum konnte man nicht vorsichtig genug sein.
    Nach und nach kamen auch Vertreter unabhängiger Stationen dazu. Eine verblichene Schirmmütze der Miliz verriet, dass auch die Baltiskaja einen Kundschafter entsandt hatte. Der Milizionär gab ein ausgesprochen gepflegtes Bild ab, jedenfalls im Vergleich zu seinem Sitznachbarn, einem zottelhaarigen Banditen von der Kirsa . Der grinste seinem natürlichen Feind frech ins Gesicht und bleckte dabei sein löchriges Gebiss . A n den drei Stationen des Handelsrings galten besondere Regeln, die die beiden an sich unversöhnlichen Gegner zu einem vorübergehenden Waffenstillstand zwangen.
    Ein paar unauffällige Dendrophile von der Petrogradka tuschelten angeregt mit Nikanor, dem Stationsvorsteher der Moskowskaja . A uch einige »Genossen« von der Swjosdnaja fanden sich im Kreis der Versammelten ein. Sie hielten sich allerdings abseits und taten so, als würde sie der ganze Auftrieb nicht im Geringsten interessieren.
    Ganz am Rand der Menge tauchte der schwarze Mantel eines Totengräbers auf. Die Bestatter der Metro waren grenzwertig schräge Typen, doch ohne sie ging es nicht. Verwesende Leichen in der Nähe bewohnter Stationen waren eine Brutstätte für Seuchen und lockten Heerscharen von Ratten an. Die normale Sterblichkeitsrate im Untergrund war so hoch, dass das Feuer in den Krematorien der Totengräber niemals verlosch.
    Als Letzte trafen die Moskowiter ein. Sie nahmen in möglichst großer Entfernung zu den Gesandten der Primorski-Allianz Platz und warfen gehässige Seitenblicke auf ihre ehemaligen Feinde. Die Erinnerungen an den erst kürzlich beigelegten Konflikt waren noch frisch. Zu viele Opfer hatte sie dieser kurze, aber blutige Krieg gekostet.
    Nachdem der Mann im Rautenpullover zum hundertsten Mal seine Brille zurechtgerückt hatte, schleuderte er wie ein Dirigent die Arme in die Luft.
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