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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit
Autoren: Andrej Djakow
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Das Gemurmel in der Bahnsteighalle verstummte augenblicklich. Für einen Moment schien es, als würden sogar die Lampen heruntergedimmt – wie vor dem Beginn eines Konzerts.
    »Sehr geehrte Herren!«
    »Siehst du hier irgendwo einen Herren?«, ereiferte sich sogleich einer der Kommunisten, ein nicht mehr ganz junger Mann, der eine bis zur Unkenntlichkeit verwitterte Lederjacke trug. »Deine Herren sind schon lange ausgestorben.«
    »Genossen!«, korrigierte sich Pantelej.
    »Für einen Hungrigen ist der Satte niemals Genosse!«, entgegnete der Quadratschädel mit der Milizionärsmütze wie aus der Pistole geschossen und grinste besoffen.
    »Brüder, Freunde, Kollegen!« Der Besitzer der größten Brille der Welt wurde allmählich ärgerlich.
    Diesmal hagelte es gleich mehrere Zwischenrufe. Im Publikum machte sich Unruhe breit. Die Versammlung drohte aus dem Ruder zu laufen, bevor sie noch richtig begonnen hatte.
    Gromow sah sich Hilfe suchend um. Mit einem sorgfältig zusammengefalteten Tuch tupfte er sich die verschwitzte Glatze ab. Und dann explodierte er.
    »Schnauze!!! Was ist denn das für ein Kindergarten hier, zum Donnerwetter! Habt ihr keine Lust mehr zu leben, ihr Arschlöcher? Ich schon! Also haltet endlich die Klappe!«
    Stille kehrte ein. Mit seinem Ausbruch war es dem unansehnlichen Administrator der Sennaja offenbar gelungen, die Gäste zu beeindrucken und gleichzeitig neugierig zu machen.
    »Wie ihr alle wisst, ist der Metrorat zuletzt vor drei Jahren wegen der Pestepidemie zusammengekommen. Der Grund, warum wir diese außerordentliche Versammlung einberufen haben, ist nicht weniger ernst.« Pantelej machte eine effektvolle Pause, bis er den gelangweilten Blick eines dunkelhäutigen Gesandten von der Oserki bemerkte. »Unseren Stationen droht ein Gasangriff.«
    Unter der gewölbten Decke der Sennaja mischten sich besorgte Stimmen zu einem bedrohlichen Geraune. Pantelej wartete nicht ab, bis sich das Publikum wieder beruhigte. Stattdessen zeigte er mit dem Finger auf jemanden im Publikum und überschrie die Menge.
    »Hiermit erteile ich diesem Mann das Wort. Er vertritt die Bewohner der Insel Moschtschny.«
    Wie auf Kommando reckten alle die Köpfe und starrten den gebrechlichen alten Mann an, der sich gerade von seiner Bank erhob. Mit gekrümmtem Rücken trippelte Großvater Afanassi in die Mitte der improvisierten Rednerbühne. Dort richtete er sich auf und musterte die illustre Gesellschaft mit argwöhnischem Blick. Seine Augen funkelten eisig. Im Publikum kehrte schlagartig Ruhe ein.
    »Es fällt mir schwer, zu euch zu sprechen«, begann der Greis. »Doch zu schweigen wäre noch schwieriger … Jemand hat es gewagt, auf unserer Insel eine Atombombe zu zünden. Die Siedlung auf der Moschtschny existiert nicht mehr …«
    Afanassi stockte. Seine Augen wurden feucht, doch seine Stimme blieb fest.
    »Von unserem Volk hat nur die Besatzung der ›Babylon‹ überlebt. Wir sind friedliebende Menschen und hatten es nie auf fremden Besitz abgesehen . A us diesem Grund frage ich euch alle …« Der alte Mann schwenkte den Arm über die Versammelten. »Warum? Warum?!!«
    Afanassis Arm zitterte und sein Gesicht verzerrte sich zur Fratze.
    Auf dem Bahnsteig herrschte Grabesstille. Die Gesandten sahen einander an. Niemand wagte es, das Schweigen zu brechen, keiner hielt dem vernichtenden Blick des alten Mannes stand. Nur die Veganer in ihren geleckten Uniformen leisteten sich ein verstohlenes Grinsen, das sie hinter ihren blitzsauberen Handschuhen verbargen. Für sie war fremdes Leid ein Quell der Freude.
    Afanassi ließ den Arm sinken. Da eine Antwort offenbar nicht zu erwarten war, atmete er tief durch und sprach leise weiter.
    »Ich bin hier, um euch unsere Bedingungen zu übermitteln. Wir sind gut genug ausgerüstet, um zu jedem beliebigen Lüftungsschacht an der Oberfläche vorzudringen. Vor einem Sturmangriff auf die Tschkalowskaja kann ich euch nur warnen. Wir haben genug Waffen und Munition von der ›Babylon‹ abgezogen, um jeden zu liquidieren, der sich zu unserer Station vorwagt. Ihr habt eine Woche Zeit, um diejenigen, die hinter dem Atomschlag stecken, zu finden und an uns auszuliefern . A ndernfalls werden wir eure Stationen mit Senfgas vergiften, und zwar alle ohne Ausnahme.«
    Die Luft schien vor Anspannung zu vibrieren. Selbst die Gaffer, die das Geschehen aus der Ferne verfolgten, wagten kaum mehr zu atmen. Der Metrorat musste das Gehörte erst einmal verdauen.
    Afanassi machte eine
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